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100 Jahre Balkankriege: Das Tagebuch von Vater Iwan Dotschew

Foto: lostbulgaria.com
"Eine Saga über den Balkankrieg" - unter diesem Titel wurde ein bewegendes Tagebuch aus der Zeit des ersten Balkankrieges 1912-13 veröffentlicht. In diesem Krieg kämpften Bulgarien, Griechenland, Serbien und Montenegro gegen das Osmanische Reich um die Befreiung von Gebieten, die überwiegend mit Christen bevölkert waren. Autor des Tagebuches ist Vater Iwan Dotschew von der Kirche "Die drei Heiligen Kirchenväter" in der nordöstlichen Stadt Schumen.

Ein begabter Erzähler, zeigt Vater Iwan die verschiedenen Gesichter des Krieges: vom allgemeinen patriotischen Enthusiasmus und der Freude über die Siege bis hin zum Leiden und den zahlreichen Opfern. Vater Iwan Dotschew wollte wohl das Gesehene und Erlebte für die nächsten Generationen bewahren und stellte sein Tagebuch dem Metropoliten von Varna und Preslaw Simeon zur Verfügung. In seinem Archiv entdeckte das Tagebuch die Dozentin Lisbet Ljubenowa vom historischen Institut der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. Sie gab das Tagebuch heraus und schrieb das Vorwort und die Kommentare und Bemerkungen zum Buch.

Laut Dozentin Lisbet Ljubenowa ist das Tagebuch von Vater Iwan Dotschew in vielerlei Hinsicht einzigartig. "Es unterscheidet sich erstens dadurch, dass es von einem Geistlichen stammt und sein Blick auf die Ereignisse an der Front sich grundlegend von den anderen unterscheidet. Er war Freiwilliger im ersten Balkankrieg. Er ließ seine Frau und fünf Kinder zurück; dabei war er behindert. Er bewegte sich mit Hilfe eines Gehstocks und arbeitete im Lazarett des dritten Krankenhauses. Seine Notizen unterscheiden sich grundlegend von den anderen Tagebüchern, die wir haben - vor allem von Generälen oder späteren Erinnerungen. Iwan Dotschew ist kein Militär und brauchte nicht zu beweisen, dass er mit seinen Strategien Recht hatte. Er beschrieb den Krieg so, wie er ihn jeden Tag sah."

Warum schrieb sich ein gestandener Mann mit fünf kleinen Kinder als Freiwilliger in den Krieg ein? "Das fragt er sich zu Beginn des Tagebuches auch, weil er sieht, wie seine Frau nachts nicht schlafen kann und heimlich weint. Und er fragt sich, ob er das Recht hat, diese fünf Kinder der Ungewissheit auszusetzen, da es keine Garantie gibt, dass er lebendig zurückkehren wird. Aber er sagte sich letztendlich: wir müssen diese nationale Frage lösen. Wir müssen hingehen und kämpfen, die Freiheit fordert Opfer. Das deckte sich auch mit der Einstellung der Soldaten an der Front, weil sie ebenso dachten. Damals sagten alle: es ist besser, dass wir unser Leben hier verlieren, aber unsere Kinder werden in Frieden lieben. Das war eine einzigartige Einstellung in jener Epoche, die wir leider schwer begreifen können. Die Menschen empfanden damals das nationale Ideal als ihre Verantwortung. Vater Iwan Dotschew sagt: "Wir sind verpflichtet die versklavten Brüder zu befreien."

Dozentin Lisbet Ljubenowa weist darauf hin, dass im Unterscheid zu den Berufshistorikern, die damals an der Front waren, Vater Iwan Dotschew sein Tagebuch sehr ausführlich führte. Und machte das mit einer wahren geschichtlichen Kultur, aufrichtig und ohne Selbstzensur.

"Das Tagebuch wurde auf drei Schülerheften geschrieben. Kein Tag an der Front fehlt da, unabhängig davon, ob gerade gekämpft wurde oder nicht. In den Heften gibt es eine Episode, in der er schreibt; "Ich habe meinen Rücken an eine Mauer gelehnt und schreibe und die Schrapnellen fliegen herum". Er berichtet über alles der Reihe nach. Sein Tagebuch hat er nicht berichtigt oder umgeschrieben. Weil es niemand zu seinen Lebzeiten herausgegeben hat. Und warum fehlt jede Selbstzensur? Er hatte nichts von dem zu verstecken, was er an der Front sah. Er beschuldigt die Regierung, die Soldaten nicht mit einem Sanitätspaket versorgt zu haben. Er berichtet davon, wie viele Menschen er begraben musste, weil sie kein Verbandszeug hatten und in der Nacht verbluteten. Er zeigt den Egoismus der damaligen Regierung von Iwan Ewstatiew Geschow, die nicht genug Geld ausgegeben hat, um den elementaren Schutz der Soldaten zu gewährleisten. Außerdem zeigt er auch eine andere Seite des Krieges - das Fehlen von Pioniertruppen, die für die Hygiene an der Front sorgen könnten. Wo es keine Toiletten für die Soldaten gibt, gibt es kein sauberes Wasser. Es ist bekannt, dass es im 1. Balkankrieg mehr Opfer durch die Cholera als durch die Kämpfe an der Front gab. Er spart diese Wahrheiten nicht aus. Und das zeigt den Krieg von einen anderen Gesichtspunkt aus, von einem menschlichen. Es gibt dabei eine interessante Episode - zusammen mit einem Teil der bulgarischen Ärzte gehen sie zum Türkischen Halbmond, um beim Verbinden der türkischen Soldaten zu helfen. Bei einer Schlacht war das Feld mit Verwundeten übersäht und man machte keinen Unterschied, ob sie von der einen oder anderen Seite sind, zumindest nicht von den bulgarischen Sanitätern. Leider sagt er nicht, ob die türkischen Ärzte gekommen sind, um bulgarische Soldaten zu verbinden. Er schreibt jedoch, an welchen Tagen er zusammen mit den Ärzten ins feindliche Lager gegangen ist."

D.h. für das Leiden gibt es keine Nationalität...

"Nicht nur das. Er war ein orthodoxer Priester, aber der Leser findet im Tagebuch seine Begeisterung für die Selimiye-Moschee in Edirne. Er sieht in ihr das kultur-historische Erbe unabhängig von der fremden religiösen Gemeinschaft. Einige Male besteigt er die Minarette und freut sich, dass dort bulgarische Posten aufgestellt sind, die das Gebäude vor Plünderungen schützen. Er bewundert die Architektur und die schönen Minarette. Es gibt keinen Hass bei ihm, auch wenn er ein orthodoxer Priester ist. Und er denkt daran, wie man das alles erhalten kann. Das kann man leider nicht von der anderen Seite sagen. Denn er beschreibt auf seinem Weg Ortschaften, die nicht nur niedergebrannt wurden, in ihnen wurden auch die Kirchen zerstört. Wir sehen einen Menschen mit außerordentlicher Kultur, der mit seiner Geisteshaltung eher zu unserer Zeit gehört. Oder vielleicht kennen wir diese Seite des Krieges weniger, die im Tagebuch von Vater Iwan Dotschew dargestellt ist."

Übersetzung: Vladimir Daskalov
По публикацията работи: Weneta Pawlowa


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