Am 7. und 8. Dezember wurde im Zentrum für Kultur und Debatten, dem „Roten Haus“ in Sofia, das Stück „Jonathan – ein Stück über Adoptierte“ uraufgeführt. Es handelt sich dabei um das zweite soziale Projekt der Plattform für Dokumentarfilme W/HOD, das in Partnerschaft mit dem Studio für Dokumentartheater VOX POPULI umgesetzt werde.
Mehr über die Aufführung, die mit diversen Vorurteilen aufräumt, erfahren wir von der Anthropologin, Choreographin und Tänzerin Stefani Chandschijska.
„Ursprünglich gehen die Zuschauer davon aus, dass man sie mit traumatisierten Helden konfrontieren wird und machen sich auf traurige Kinder mit verweinten Augen, leere Eisengitterbettchen und ähnliche Klischees gefasst“, sagt Stefani Chandschijska. „Adoption sehen wir aber mit ganz anderen Augen. Wir setzen uns detailliert mit Familien auseinander, in denen ein Kind adoptiert wurde. Wir haben uns mit vielen Adoptiveltern getroffen und uns ihre Stories angehört. Eins sollte man nämlich wissen – die Adoption endet nicht damit, dass man ein Kind aus einem Kinderheim nach Hause nimmt und die entsprechenden juristischen Dokumente unterzeichnet. Das bedeutet nicht, dass man damit der Elternrolle automatisch gewachsen wäre. Vielmehr müssen sich die Adoptiveltern und das von ihnen adoptierte Kind aneinander anpassen, damit eine gesunde Familie zustande kommt“, weiß Stefani Chandschijska zu berichten.
Vor der Wende 1989 wurde das Adoptionsgeheimnis in Bulgarien streng gewahrt. Trotzdem haben Adoptivkinder oft auf traumatische Weise die Wahrheit erfahren – über Nachbarn oder Bekannte, die vorgeben, es gut mit ihnen zu meinen.
„Die heutigen Eltern haben meiner Ansicht nach eine Kultur, die Sinn macht – von Anfang an belügen sie nie das Kind, das sie adoptiert haben“, meint Stefani Chandschijska. „Man behandelt die Kinder mit Achtung. Selbst wenn sie ganz klein sind, kann man ihnen behutsam und klar die Wahrheit über ihre Herkunft mitteilen, ohne dass die Familie dabei in die Brüche geht. Ganz im Gegenteil – eine Familie, in der man sich die Wahrheit sagt, ist stabil und alles ist transparent. Wenn wir vor Ort arbeiten, treffen wir auf zwei Extreme – entweder wachsen adoptierte Kinder in Familien auf, ohne zu wissen, dass das nicht ihre leiblichen Eltern sind oder aber in Familien, wo vom ersten Tag an Klarheit herrscht.“
Was steckt hinter dem Ausdruck „verbatim“? Aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet das so viel wie wortwörtlich. Warum müssen die Erzählungen über Adoption wortwörtlich wiedergegeben werden?
„Wir stützen uns auf die Verbatim-Methode, weil sie es unserem Publikum ermöglicht, Stimmen zu hören, die es sonst vermutlich nicht vernehmen würde“, erläutert Stefani Chandschijska. „Es handelt sich dabei um Interviews, die im Audioformat aufgezeichnet wurden und von denen wir die Quintessenz herauskristallisiert haben. Darin kommt die Haltung des Befragten am besten zum Ausdruck. Wir engagieren uns damit, ihre Worte nicht aus dem Kontext zu reißen.“
Während der Aufführung haben die Schauspieler Kopfhörer auf, über die sie die Offenbarungen der Interviewten im MP3-Format hören und wortwörtlich wiedergeben. “So animieren wir die Schauspieler, den Menschen, dessen Monolog sie wiedergeben, ganz nah zu sein und ihre Wahrheit nachzuempfinden“, sagt Stefani Chandschijska und weiter:
„Diese Familien sind versteckte Helden, die unter uns leben. Sie führen meiner Ansicht nach ein sehr schönes und natürliches Leben. Ich kann nicht behaupten, dass das für alle zutrifft, doch zumindest stimmt das in jenen Fällen, die wir gesehen haben. Die Adoptiveltern müssen einen schweren Weg zurücklegen, sich vom eigenen Ich und ihrem Egoismus abkehren, damit letztendlich das Wunder Familie zustande kommen kann. Ich sehe das durchaus als Wunder an und schätze mich glücklich, wenn ich auf solche Wunder treffe“, sagte abschließend Stefani Chandschisjka.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Privatarchiv
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