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Silikon und Tschalga ersetzen die Traditionswerte

"Wer lernt, wird im Leben Erfolg haben!". Dieses alte Sprichwort war gültig für Generationen von Bulgaren. Aber viele junge Leute, die nach der Wende geboren wurden, sind heute anderer Meinung. Ihres Erachtens nach, sind die Voraussetzungen für eine Verwirklichung nicht die Bildung und der Beruf, sondern das dicke Bankkonto und das Aussehen. Leider sind die jungen Mädchen am meisten für diesen Trend anfällig und wollen um jeden Preis unwiderstehlich und sexy sein. Nur so haben sie das Gefühl, gerüstet für die Herausforderungen des Lebens zu sein. Ihre Hauptinspirationsquelle sind die Popvolksängerinnen, deren Aussehen den Höhepunkt der modernen Schönheitschirurgie darstellt. Dazu kommen alle Werte, die für die Subkultur des Popvolks, der s.g. Tschalga typisch sind.

Das Skalpell und die s.g. Fillers oder "Füllungen" können jedem auch so dünnen und unattraktiven Körper die verführerischen Formen einer Pornoqueen verleihen. Beunruhigend aber ist die Tatsache, dass 18 und 19jährige Schülerinnen mit einer Leichtigkeit beim Schönheitschirurgen ein- und ausgehen, mit der sie die Disco am Wochenende besuchen oder im Schnellrestaurant etwas zum Essen holen. Solche Schönheiten mit aufgeblasenem Busen und geschwollenen Lippen gibt es übrigens mittlerweile fast überall bei uns. In der Zeit der Abiturfeier aber hat diese Tendenz enormen Ausmaß eingenommen. Es stellte sich nämlich heraus, dass manche Eltern bereit sind, alles dafür zu geben, damit ihre Töchter mit einem prächtigen Busen am ersehnten Abend glänzen können.

© Foto: Weneta Nikolowa

Die Tschalga-Musik und Kultur haben viele Fans in Bulgarien.

Die neue Errungenschaft muss dann entsprechend in einem spärlichen, dafür aber mit Pailletten und Strass überladenem Outfit präsentiert werden. Dazu hat jede Dame einen kurzgeschorenen Begleiter nach Möglichkeit mit einem dicken Nacken, an dem eine schwere Goldkette hängt – eben die perfekte Kopie einer Mutra (Umgangsprache für Gangster in Bulgarien) zu Deutsch – "Fratze". Leider haben diese schockierende Äußerungen des schlechten Geschmacks den Vorrang und lassen in ihrem Schatten die Versuche der restlichen Abiturienten, durch natürlichen Charme und subtile Eleganz diesen wichtigen Tag ihres Lebens zu vermerken.

Wenn man zufällig zur Zeit der Abschlussfeier im Mai einen Blick in einem bulgarischen Schulhof wirft, wird man von der Geschmacklosigkeit und dem Kitsch, die dort herrschen, angewidert sein. Im Beisein von bis zum Tränen gerührten Lehrern und Eltern glänzen die Schüler von heute wie Pornostars auf einer selbsterbauten Bühne und schlängeln ihre Körper unter den Rhythmen orientalischer Musik vor den Augen ihrer angetrunkenen Mitschülern. Das ist die Hochsaison aller Modehäuser, Frisör- und Kosmetiksalons, sowie Schönheitschirurgen, die nicht über einen Mangel an Kunden sich beklagen können. Dozent Dimitar Ewstatiew – Vorsitzender der Bulgarischen Assoziation der Schönheitschirurgen behauptet, dass solche Interventionen wie die Vergrößerung des Busens oder der Lippen, wenn gut gemacht, vollkommen ungefährlich für die Gesundheit sind, vorausgesetzt natürlich, dass der Körper sich nicht mehr in der Wachstumsphase befindet. Eine andere Frage sei wie viel schöner sie die Person machen und in wie fern sie notwendig seien.

"Das ist eine Frage der persönlichen Einschätzung des Arztes", erklärt Dr. Ewstatiew. "Leider ist die Schönheitschirurgie nicht nur in Bulgarien, sondern weltweit ziemlich kommerziell geworden. Ich habe schon schreckliche Dinge gesehen, die nur deswegen gemacht werden, damit man daraus Geld verdient. Ich persönlich mache so etwas nicht. Andererseits gibt es Mädchen, die keinen Busen haben und unglücklich darüber sind. Dann ist so eine Intervention empfehlenswert."

Tatsächlich, wieso sollte man zur Schule, zum Strand oder zu seiner Abiturfeier gehen, wenn man sich nicht entblößen könnet und mindestens solche Formen zu zeigen, wie die von Pamela Anderson? Wie sollte man dem Ernst des Lebens ohne einen prallen Busen und aufgeblähten Lippen begegnen, wenn man nicht dieser Norm entspricht? In Zeiten, in denen die Starken des Tages immer noch Politiker und Geschäftsleute mit ungeklärter Vergangenheit und die Vorbilder der Schönheit Silikonpuppen sind, sind solche Erscheinungen nur zu verständlich, sind die Soziologen überzeugt. Niemand mehr bestreitet die Tatsache, dass die Traditionswerte der Bulgaren wie Wissensbegierde und Fleiß, Ehrlichkeit und Lernlust von der Kultur des leicht verdienten Geldes, der künstlichen Schönheit und der Lust ersetzt werden. Die jungen Menschen geben bloß in einer sehr anschaulichen Weise die Realität wieder. Vielleicht um uns daran zu erinnern, dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, uns sehr weit von unserem Wertesystem bringt.

Übersetzung: Milkana Dehler
По публикацията работи: Weneta Nikolowa


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