"Wie viele Hoffnungen liegen wohl verloren und wie Sand zerstreut herum? Können wir die ungeborenen Hoffnungen retten – jetzt und von nun an? 45 Jahre sind genug! Jetzt ist unsere Zeit!" Das sangen die Jungs der beliebten bulgarischen Rockgruppe FSB Anfang der Neunziger und das Lied wurde zu einem der Symbole der Proteste und des Kampfes für ein neues Bulgarien nach 45 Jahren kommunistischer Herrschaft.
"Eine Zeit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Und des Mangels an Weisheit." So charakterisiert den Anfang der 90er Jahre der damalige Dissident und Öko-Aktivist und spätere Direktor des "Instituts für grüne Politik" Petko Kowachew.
1990 überstürzten sich die Ereignisse, sie kamen nicht wie auf einem Fluss angeschwommen, sondern wie eine richtige Flut: der Staatsrat wurde aufgelöst, der Staat erklärte den Bankrott, drei Regierungen lösten einander ab, aus der "Volksrepublik" wurde die Republik Bulgarien.
Der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft in Bulgarien verlief friedlich – dank der Verhandlungen am Runden Tisch. Politische Konsultationen wurden von der Opposition schon im November 1989 vorgeschlagen. Die regierende Kommunistische Partei weigerte sich zunächst, änderte aber ihre Meinung nach der großen Kundgebung am 14. Dezember, dem politischen Streik, der von der Gewerkschaft "Podkrepa" organisiert wurde, und nicht zuletzt wegen der Ereignisse in Rumänien mit Schusswechseln zwischen Armee und Geheimdienst, bei denen es Tote gab und dem im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess, der dem Diktator Ceausescu gemacht wurde.
Zwischen dem 3. Januar und dem 15. Mai 1990 tagte der Nationale Runde Tisch in Sofia insgesamt 19 Mal. Die Sitzungen wurden live im Programm "Horizont" des Bulgarischen Nationalen Rundfunks übertragen. Hier eine Aufnahme von der Eröffnung des Runden Tisches aus unserem Tonarchiv:
"Die historische Mission des Nationalen Runden Tisches ist, konkrete Vereinbarungen als Grundlage für die Lösung der wichtigsten politischen und sozioökonomischen Probleme des Landes zu erreichen", sagte Georgi Pirinski – Spitzenpolitiker der Kommunistischen Partei, die damals über Nacht zur Sozialistischen Partei wurde, später Außenminister, Parlamentspräsident und jetzt Europaabgeordneter. "Das werden vor allem Fragen im Zusammenhang mit den Wegen, Schritten und Fristen zur Beseitigung der totalitären Strukturen und zur Demokratisierung der Gesellschaft sein, die grundlegenden Ideen und Prinzipien der Gesetzentwürfe und anderer Bestimmungen für schnelle und entschlossene Schritte, die nationalen Ziele zu erreichen. Der Nationale Runde Tisch kann diese einzigartige Aufgabe nur in einem Klima des gegenseitigen Vertrauens, der Verantwortung und Konstruktivität ausführen", sagte Pirinski damals, im Januar 1990, bei der Eröffnung des Runden Tisches.
Auf der anderen Seite war der Dissident und spätere Staatspräsident Shelyu Shelew: "Der Text, der in der Kontaktgruppe ausgearbeitet wurde, erscheint uns, wenn wir ihn uns noch einmal anschauen, in einigen Punkten nicht hinreichend klar. Die Stellen, die ganz kategorisch sein sollten, klingen eher wie fromme Wünsche. Wir sind der Ansicht, dass es zumindest einen Satz geben muss, in dem der Status und die Befugnisse des Runden Tisches klar zum Ausdruck gebracht werden", sagte er.
Der Nachteil des Runden Tisches war, dass er sich auf den politischen Rahmen der Veränderungen und so gut wie gar nicht auf die wirtschaftlichen Reformen und die Änderung der Eigentumsverhältnisse konzentrierte. Seine wichtigsten Errungenschaften waren aber die Beseitigung des Artikels 1 im bulgarischen Grundgesetz, der die führende Rolle der Kommunistischen Partei festschrieb, die Einführung der Institution des Staatspräsidenten, die Entpolitisierung der Armee, der Polizei, der Gerichte und der Diplomatie, der Anberaumung von Wahlen für eine verfassungsgebende Volksversammlung sowie die Auflösung der berüchtigten "Direktion 6" der bulgarischen Staatssicherheit, die sich mit der Bespitzelung von Dissidenten und anderen "inneren Feinden" befasste. Am 12. März wurden am Runden Tisch drei Vereinbarungen unterzeichnet – über seine Rolle und seinen Status, über das politische System und über die friedliche Entwicklung des Übergangs.
Für die große Wahlkampfkundgebung der Union der demokratischen Kräfte am 7. Juni 1990 an der Adler Brücke in Sofia versammelten sich mehr als eine Million Menschen in der Hoffnung, dass die Veränderungen im Land ein besseres Leben bringen werden. Am 10. Juni 1990 wurden dann die ersten freien Wahlen durchgeführt. Ihr Ergebnis war ein Sieg für die Bulgarische Sozialistische Partei, der den Ex-Kommunisten 211 der 400 Sitze in der Verfassungsgebenden Volksversammlung brachte.
Die Reaktion auf diese Ergebnisse ließ nicht auf sich warten. Die Anhänger der Union der demokratischen Kräfte waren überzeugt, dass es sich um eine Manipulation der Wahlergebnisse handelt. Es begannen Massenproteste und auf den Boulevards in Sofia wurden Barrikaden errichtet. Am 4. Juli begann ein Protest in der Form eines Sitzstreiks, der dann zu einem Protest-Zeltlager, der "Stadt der Wahrheit", im Zentrum der Hauptstadt wurde. Die Protestierenden dort forderten, dass die Sozialisten ihre Wahlfälschung eingestehen, dass das Eigentum der Partei offengelegt und ein Termin für einen Gerichtsprozess gegen den ehemaligen Staats- und Parteichef Todor Schiwkow festgelegt wird.
Am 6. Juli reichte Petar Mladenow als Staatschef seinen Rücktritt ein. Das geschah nach dem Skandal mit seinen Worten bei der Blockade des Parlamentsgebäudes am 14. Dezember 1989 "es wäre besser, wenn die Panzer kommen". Im Sommer 1990 beschloss die Volksversammlung, überall die Symbole der kommunistischen Macht zu entfernen. Dazu gehörte auch der riesengroße leuchtende rote Stern am höchsten Turm des Parteigebäudes der BSP in Zentrum der Hauptstadt, zwischen dem Regierungsgebäude und dem Präsidialamt. Die Sozialisten gaben vor, sie seien mit seiner Demontage einverstanden, zögerten diese aber hinaus. Am 26. August 1990, bei einem neuerlichen Protest gegen diese Verzögerung, wurde das Parteigebäude in Brand gesteckt. Die Polizei, unter der Kontrolle der regierenden Ex-Kommunisten beschuldigte die Vertreter der "Stadt der Wahrheit". Sie nutzte dies als Vorwand, um das Zeltlager der Protestierenden aufzulösen. Neuere Hinweise und Filmaufnahmen belegen, dass der Brand inszeniert wurde. Er wurde sehr schnell gelöscht. Es verschwanden jedoch wichtige Parteidokumente und es hieß, sie seien beim Brand vernichtet worden. Es kann bis heute nicht bewiesen werden, ob das wirklich so war oder ob belastende Papiere wirklich zu diesem Zeitpunkt verbrannt sind oder vorher weggebracht, vernichtet oder einfach vor der Öffentlichkeit versteckt wurden. In dieser konfliktgeladenen Situation schrieb die verfassungsgebende "Große" Volksversammlung das neue bulgarische Grundgesetz. Es wurde trotz Kritiken und Protesten am 12. Juli 1991 angenommen.
Übersetzung und Redaktion: Petar Georgiew
Fotos: Archiv
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