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2003: Blaga Dimitrowa – Ehrlichkeit in Zeiten politischer Ehrlosigkeit

Foto: Archiv

"Mir ist schon zu Ohren gekommen, wie man sagte, dass Blaga Dimitrowa ein Versehen sei – eine Frau, die auch noch Poetin und besonnen ist. Die Kritiker, die sie häufig der `Spekulation` bezichtigen, werfen ihr `Hirngespinste` vor."

Das sind die Worte der berühmten französisch-bulgarischen Intellektuellen und Forscherin Prof. Julia Krastewa. Sie offenbaren die Einstellung der Kritiker zum Schaffen einer der größten Lyrikerinnen der modernen bulgarischen Literatur. Die für das Schaffen von Blaga Dimitrowa typische Intuition und Besonnenheit gelten im Kommunismus als Abweichung vom sozialistischen Realismus und von der wahrheitsgetreuen künstlerischen Darstellung der Wirklichkeit.


Bis an ihr Lebensende wandelt Blaga Dimitrowa beharrlich abseits der vorgeschriebenen Partei- und Literaturleitsätze. 1988 entscheidet sie, dass es an der Zeit ist, den bequemen Schreibstuhl zu verlassen und sich gesellschaftlich zu engagieren. Sie ist Mitgründerin des Komitees für Umweltschutz in Russe als auch des Klubs für Glasnost (Transparenz) und Perestrojka (Umgestaltung). Gemeinsam mit anderen namhaften bulgarischen Intellektuellen wird sie zum berühmten Frühstück von Francois Mitterrand in die französischen Botschaft geladen. Die Poetin führt die Liste der unbequemen Schöpfer an, die von der Nomenklatur erstellt wurde, um die immer lauter werdenden Rufe nach Veränderung zu ersticken. Im Zuge der politischen Wende nach dem 10. November 1989 unterstützt Blaga Dimitrowa mit zahlreichen Intellektuellen und Künstlern die Union der demokratischen Kräfte in ihren Demokratiebemühungen. Sie hoffen auf eine echte und unumkehrbare Veränderung, auf die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Bestrafung der Schuldigen für die Katastrophe des Landes.

1991 zieht Blaga Dimitrowa für die Union der demokratischen Kräfte ins Parlament ein, ein Jahr später wird sie zur Stellvertreterin von Staatspräsident Schelju Schelew gewählt. Beide sind die ersten, die demokratisch in dieses Amt gewählt werden. Bevor sie den Posten annimmt, berät sich Blaga Dimitrowa mit ihrer Freundin Maria Andonowa, die sie zu diesem Schritt ermutigt. Später schreibt Andonowa in ihren Erinnerungen über die Gespräche mit der Dichterin, ein ehrlicher Mensch wie Blaga könne sich nicht lange in der vergifteten Atmosphäre der politischen Konjunktur halten.

Und hier die Worte von Blaga Dimitrowa, mit der sie sich der Anschuldigung des "blauen" Totalitarismus ihrer Opponenten erwehrt (Blau steht hierbei für die Farbe der Union der demokratischen Kräfte):

"Liebe Landsleute, ich will hier weder für die Wahlen agitieren, noch mich der Anschuldigungen und Verleumdungen wehren, noch andere an den Pranger stellen", sagt Blaga Dimitrowa. "Das Einzige, dem ich mich nicht verschließen kann, ist der Angriff auf die reine und lichte Hoffnung der Menschen. Die Hoffnung auf die Wiederbelebung unseres Landes. So mancher erkühnt sich, unsere junge Freiheit zu überschatten und wirft uns `blauen` Totalitarismus vor. Ich frage euch – wurde irgend jemand ohne Urteil hingerichtet, wie es nach dem 9. September tausendfach der Fall war? Wurde irgend jemand aus seinem eigenen Heim vertrieben, um neuen Hausherren Platz zu machen? Wurde irgend jemand in ein Lager gesteckt, wie es Tausenden Märtyrern ergangen ist, die unter dem grausamen Regime ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Familie verloren haben? Wessen Kinder haben aufgrund der Namen ihrer Eltern keine Zukunft? Und wo bitte soll heute dieser blaue Totalitarismus sein?"

Im Sommer 1992 sind sie mit Staatspräsident Schelew nicht mehr einer Meinung. Auslöser für die Diskrepanz ist eine Pressekonferenz, auf welcher Schelju Schelew offene Kritik an der Regierung unter Premier Phillip Dimitrow übt. Getreu ihren Freunden aus der Union der demokratischen Kräfte warnt sie vor einem Putsch gegen die Regierung, dem Dimitrow jedoch keinen Glauben schenkt. Nach einer gescheiterten Vertrauensabstimmung und der Übergabe der Regierungsgeschäfte an das Kabinett von Ljuben Berow tritt Blaga Dimitrowa als stellvertretende Staatspräsidentin zurück.

Und so kommentierte Schelju Schelew den Rücktritt seiner Stellvertreterin:

"Meiner Meinung nach hat sie einen großen politischen Fehler gemacht", so Schelju Schelew. "Vielleicht weil sie eine Frau der Literatur ist, eine Dichterin mit anderen Vorstellungen. Sie ist vom Koordinationsrat der Union der demokratischen Kräfte zum politischen Spielball gemacht worden. Gemeinsam hätten wir beide noch sehr viel für die bulgarische Demokratie tun können. Ich hoffe, dass wir weiter Freunde bleiben."

Die Freundschaft zwischen beiden war jedoch endgültig in die Brüche gegangen. 1999 zieht sich die Autorin des Romans "Gesicht" – angewidert von der politischen Heuchelei – endgültig aus der Politik zurück. Am 2. Mai 2003 erliegt sie einer schweren Krebserkrankung. Ihre Bescheidenheit und Ehrlichkeit werden uns stets ein Vorbild sein.

Übersetzung: Christine Christov



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