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Tolerant sein ist nicht normal

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Foto: Luisa Lazarova

Am letzten Samstag hat in Sofia zum neunten Mal in Folge die viel umstrittene Gay-Pride-Parade stattgefunden. Am Tag der diesjährigen Sofia Pride flatterte am Denkmal der Sowjetischen Armee die Fahne der Toleranz. Das sorgte für Assoziationen, denn letztes Jahr erschien auf der Internetseite „ Die Nicht-Nachrichten“ ein Beitrag unter der Aufschrift „Entrüstung wegen der Militärparade: Wir sind zwar tolerant, aber so etwas darf nicht vor Kindern passieren“. Kurz vor der diesjährigen Gay-Parade in Sofia wurde besagter Beitrag erneut veröffentlicht. Darin machen sich die Spaßvögel von der Internetseite über die Haltung der Durchschnittsbulgaren gegen die Militärparaden lustig. Zu lesen sind Äußerungen wie: „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe Freunde, die Militärs sind, ich habe nichts gegen sie“ oder „Viele meinen, dass die Militärs genug Rechte haben und in der Gesellschaft gut angenommen sind, so dass sie nicht auf den Straßen zu paradieren brauchen“ bis hin zu „Während der Arbeit darf jeder sein, was er will. Diese Paraden werden aber auch von Kindern angeschaut. Das ist pervers“.

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Die ganze Sache ist aus zweierlei Hinsicht unterhaltsam. Auf der einen Seite wird die absurde Situation von Scherzbolden auf eine ironische und treffende Art geschildert, auf der anderen schreiben sich Leute in Rage, die die Militärs in Schutz nehmen. Vielleicht macht das ja gerade den Charme der Sache aus.

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Kehren wir aber zur „Sofia Pride“ zurück. Wenn wir das Wort Militärs durch Homosexuelle ersetzen, kommen wir auf die wortwörtlich gleichen Äußerungen von Seiten der Sofia-Pride-Gegner. Ihre diesjährige Anti-Gay-Parade lief unter dem Motto „Bewahren wir die Kinder vor dem Sittenverfall“. Wenn man meint, lächelnde Menschen, Popmusik, Tänze, gute Laune, Fähnchen, farbenfrohe Hemden und der Wunsch nach mehr Toleranz seien nicht für Kinder geeignet, dann ging es auf der diesjährigen Gay-Parade wohl recht unsittlich zu. Dort waren Menschen unterschiedlichen Alters und sexueller Orientierung zu sehen. Und auch viele Kinder, die weder verlegen noch beklommen waren. Etwas befremdend wirkte nur eine Frau, die lediglich eine Hose anhatte und an Stelle einer Bluse Isolierbandstreifen trug. Ästhetisch gesehen ein horrender Anblick, doch das war eben ihre Art, das eigene Ich zum Ausdruck zu bringen. Und darum ging es doch eigentlich bei diesem Event. Und so füllte ein bunter Strom aus Menschen, Hunden und Fahnen mit einem Disco-Wagen an der Spitze die Straßen der bulgarischen Hauptstadt. Es herrschte eine ausgelassene und wirklich positive Stimmung.

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Unweit versuchten wiederum wütende Anti-Gay-Demonstranten, „die Moral der bulgarischen Familien und Kinder zu wahren und keine Schändung der christlichen bulgarischen Traditionen“ zuzulassen. Eine ihrer Losungen lautete: „Sei nicht tolerant, sei normal“. Dank der dicken Trennwand aus Polizisten blieben große Konflikte zwischen den Widersachern aber aus. Um die Gay-Gegner nicht zu diskriminieren, haben wir uns auch auf deren Webseite umgeschaut. Neben Portraits bulgarischer Schriftsteller und Revolutionskämpfer prangten dort Beschimpfungen aller Art, zumal die diesjährige Gay-Parade in Unterstützung von lesbischen Frauen, homosexuellen Männern, Bisexuellen, Transsexuellen und anderen Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung zu Allerseelen stattfand. Aus diesem Grund hat der bulgarische Patriarch Neofit offiziell Stellung bezogen. In einer Pressemitteilung der Heiligen Synode erklärt er: "Am 18. Juni, zu Allerseelen, wenn die orthodoxen Christen ihrer Toten gedenken und für deren Seeelenfrieden beten, findet in Sofia zum neunten Jahr in Folge die Sofia Pride statt. Im zentralen Teil unserer Hauptstadt werden wir erneut Zeugen einer offenen Propaganda und einer öffentlichen Demonstration der Homosexualität als Lebensweise werden.“

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Und während die Soldaten am Mahnmal der Sowjetarmee die Fahne der Toleranz gehisst hielten, haben die Teilnehmer an der Gay-Parade der Opfer der Anschlags in Orlando gedacht. Danach ging das Fest friedlich weiter. Alles in allem war es von positiven Emotionen geprägt. Bleibt nur zu hoffen, dass Isolierbandstreifen nicht in Mode kommen.

Übersetzung: Rossiza Radulowa

Fotos: Luisa Lazarova



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