„Hass ist ein Mangel an Fantasie“ – dieses Zitat von Graham Green diente zum Motto eines Literaturabends in der Sofioter Synagoge. Gestern Abend haben Gregorij von Leitis und Michael Lahr Texte und Gedichte von KZ-Häftlingen gelesen. Die Übersetzung ins Bulgarische war Schülern verschiedener deutschsprachiger Gymnasien in Sofia anvertraut. Und das allein sagt schon aus, dass beide Autoren nicht nur an die schreckliche Vergangenheit Nazi-Deutschlands erinnern wollten, sondern auch eine Brücke ins Heute, und sogar einen Blick in die Zukunft werfen wollten.
Die Autoren des Literaturprogramms sind auf die Texte und Gedichte mehr oder weniger zufällig gestoßen – in New York, wo viele Überlebende und Erben von ehemaligen KZ-Häftlingen ihre zweite Heimat gefunden haben. Der Theaterkünstler von Leitis und der Philosoph Lahr haben in den 1980er Jahren begonnen, diese Texte ausfindig zu machen und zu sammeln, doch das Programm verstärkt anzubieten, begannen sie nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris, wie Michael Lahr erzählt.
„Diese Welle von Terroranschlägen, die es gab, reißt nicht ab: der letzte Anschlag von Berlin, und dann von Istanbul. Weiterer Grund für unser Programm ist aber das verstärkte Aufkommen von Rassismus und rechtsradikaler Gewalt gegen Minderheiten. Was ich besonders wichtig finde, ist, dass der Titel „Hass ist Mangel an Phantasie“ in gewisser Weise beschreibt, was diese Künstler in Theresienstadt geleistet haben – ihre Fantasie als Mittel gegen Hass aufzubringen, gegen den Hass, der ihnen entgegenschlug. Sie haben quasi eine Offensive gegen die Nazis gestartet. Und dies bringt uns eine positive Perspektive vor Augen, wie man vielleicht mit diesem Hass umgehen kann, dass es nicht richtig ist, einfach zu resignieren, klein beizugeben oder sich wegzuducken, sondern dass man etwas Positives dagegen stellen kann.“
In den Augen von Gregorij von Leitis ist die Kunst jenes universelle Mittel, um den jungen Menschen Wertigkeit zu vermitteln. „Sie ist nicht nur im Portemonnaie“, sagt Von Leitis, der selbst während des Krieges geboren wurde, sich den Studentenprotesten von `68 und an der Vergangenheitsbewältigung des Nationalsozialismus in Deutschland aktiv beteiligte.
„Da ist eine wunderbare Jugend da draußen, davon bin ich überzeugt! Ich bin begeistert von diesen jungen Menschen, die etwas suchen, aber nicht wissen, wo sie es finden. Wir bieten sozusagen einen kleinen Fahrplan. Das Internet bietet uns nur die Information, aber es schafft keinen Geschichtsbewusstsein. Geschichtsbewusstsein schafft man nur, indem man persönlich mit Menschen zusammenkommt. Den jungen Menschen muss man Mut machen, sich zu wehren und den Mund aufzumachen. Sie werden schon die Ähnlichkeit erkennen und sehen, dass wir etwas dagegen tun können.“
Valentin Pomakow macht in diesem Jahr sein Abitur an einem der deutschsprachigen Gymnasien in Sofia. Er nahm die Herausforderung an, eines der Gedichte aus dem Literaturprogramm „Hass ist ein Mangel an Fantasie“ ins Bulgarische zu übersetzen, zum Teil aus persönlichen Gründen.
„Ich habe einen kleinen und unbedeutenden poetischen Versuch und konnte der Versuchung nicht widerstehen, statt ein Gedicht zu reimen, eines zu übersetzen“, sagt Valentin. „Ich erlerne die deutsche Sprache seit einigen Jahren und das war ein weiterer Grund, mich mit der Übersetzung zu versuchen. Aber da ist noch etwas – das Gedicht, das ich übersetzt habe, ist sehr delikat, sogar mit einer gewissen Ironie geschrieben, dass ich mir schwer vorstellen kann, wie es möglich war, bedenke man, dass der Autor in einem KZ saß. Die Parallelen zur heutigen Zeit sind eindeutig, obwohl ich persönlich versuche, das zu ignorieren, weil es mich bedrückt“, sagt Valentin Pomakow.
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