Mangelt es tatsächlich an Arbeitskräften auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt? Können Arbeitnehmer aus Drittländern dieses Manko beheben? Diese und viele andere Fragen wurden auf einem von der „Friedrich-Ebert-Stiftung“ und der Vereinigung „Solidarisches Bulgarien“ organisierten Forum diskutiert. Die Wirtschaftsberaterin der Gewerkschaft „KT Podkrepa“ Wanja Grigorowa sieht das reale Problem für die Wirtschaft nicht im Fachkräftemangel, sondern in der Schließung oder dem Mangel an Berufsschulen, an denen künftige Fachkräfte ausgebildet werden können. Das wurde auch bei den Begegnungen von Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitsagentur mit Arbeitgebern in Plowdiw, Kasanlak und Warna betont. Das niedrige Prestige der Arbeiter trägt ebenfalls dazu bei, dass es kaum Kandidaten für solche Posten in den unterschiedlichen Unternehmen und Industriezweigen mangelt, ist Wanja Grigorowa überzeugt. Sie kommentierte auch die Forderung der Unternehmer nach einer zentralen Planung, die jeden Absolventen eines Spezialgymnasiums oder eines Technikums verpflichten soll, in einem Unternehmen in seinem Fach zu arbeiten. Eine solche Maßnahme könnte, wenn auch nur zeitweilig, die Krise in Sachen Arbeitskräftemangel etwas lindern, allerdings nur im Fall, dass die Arbeitgeber bestimmte Garantien bieten. Ohne ein solches Engagement ihrerseits wäre das nur eine palliative Maßnahme, die die dringend notwendigen Debatten zu diesem Thema nur ein weiteres Mal hinausschieben würde. Alle Aspekte des Problems sind in einem Bericht eingehend beleuchtet, der konkrete Vorschläge über Gesetzesnovellen in drei Richtungen unterbreitet:
„An erster Stelle sollten wir der Arbeitsmigration und Mobilität Einhalt gebieten, d.h. wir sollten mit dem Import billiger Arbeitskräfte aus Drittländern aufhören“, meint Wanja Grigorowa. „Zweitens sollte neues Leben in die Berufsschulen kommen, aber mit einer Garantie seitens der Arbeitgeber, dass die Absolventen sich gegen eine würdige Bezahlung beruflich realisieren können. An dritter Stelle sollten sich die Arbeitgeber verpflichten, die freien Arbeitsplätze beim Arbeitsamt zu melden. So können die Arbeitnehmer einen klaren Überblick über die Jobangebote erhalten und auch die Regierung wird über Informationen verfügen, in welchen Branchen ein Arbeitskräftemangel herrscht oder nicht und wie hoch die Bezahlung dort ausfällt. Unserer Ansicht nach könnten diese drei Schritte gute Ergebnisse fruchten. Sie würden auch verhindern, dass Bulgarien Europa und die europäischen Gehälter nach unten zieht, denn genau das wird eintreten, falls wir uns weiter in die gleiche Richtung bewegen sollten“, mahnt Wanja Grigorowa.
Auf dem Forum wurde auch ein aktuelles Thema von der europäischen Agenda angeschnitten – die internationalen Straßengütertransporte. Eine für die Zwecke des Berichts vorgenommene offizielle Meinungsumfrage unter 100 Bulgaren hat ergeben, wie sich die Fernfahrer auf ihrem Arbeitsplatz fühlen. Ihre Geständnisse haben den Mythos über das Prestige dieses Berufs zunichte gemacht. Nehmen wir einmal an, dass ein Fernfahrer einen Lohn von ca. 4.000 Lewa (2.000 Euro) kassiert. Mit diesem Geld könnte er einzig seiner Familie in Bulgarien einen guten Lebensstandard sichern, nicht aber sich selbst im Ausland, wo er aber die meiste Zeit verbringt. Ein enormes Problem für die Fernfahrer ist weiterhin die Tatsache, dass bei ihnen das zu versteuernde Einkommen an den Mindestlohn im Land grenzt, weil die Versicherungen nicht in ihrem vollen Umfang gezahlt werden. Der Grund dafür ist, dass alle Zuschüsse über den vereinbarten Lohn in Form von Dienstreisegeld gezahlt werden, mit dem die Fahrer auskommen müssen, während sie unterwegs sind. Es passiert auch oft, dass sie Überstunden machen und die Kilometerzähler des Lastwagens manipuliert werden.
Sollten sie aber beschließen, in Bulgarien zu bleiben, können Erwachsene im arbeitsfähigen Alter auch hier eine Realisierung finden. Angaben der Arbeitsagentur zufolge gab es im ganzen Land per 5. November 2018 etwas mehr als 13.000 unbesetzte Arbeitsplätze. Zugleich sind in den Arbeitsämtern aber ca. 193.000 Arbeitslose registriert, so dass durchschnittlich 15 Kandidaten pro Arbeitsplatz entfallen. Worten von Wanja Grigorowa zufolge setzen viele Jobs keine besondere Qualifikation voraus, so dass der Wunsch zu arbeiten vollkommen ausreicht.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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