Nach dem Beitritt unseres Landes zur Europäischen Union und der Anerkennung der bulgarischen Hochschuldiplome ließen sich viele Ärzte und Krankenschwestern in westlichen europäischen Ländern nieder und fanden dort gute Bezahlung, hervorragende Arbeitsbedingungen und Anerkennung für ihre beruflichen Fähigkeiten. Inzwischen alarmieren immer mehr Experten, dass in bestimmten Fachgebieten der Ärztemangel akut wird, der Beruf der Krankenschwester zunehmend verschwindet und die in der Branche Beschäftigten immer älter werden.
Droht uns wirklich eine Zukunft, in der keiner mehr da sein wird, der die Kranken behandeln und medizinisch versorgen kann?
„Es wird viel geredet, aber die Lage ist nicht ganz so schlimm“, behauptet Akademiemitglied Wladimir Owtcharow, ehemaliger Rektor der Medizinischen Universität. „Seit wir in der EU sind, haben etwa 4.000 Ärzte das Land verlassen. Gleichzeitig aber wurden viel mehr Mediziner ausgebildet, sodass keine reale Gefahr besteht“, sagt Wladimir Owtcharow, räumt aber ein, dass es in einigen Fachgebieten tatsächlich Probleme gibt. Es gebe nur noch wenige Spezialisten für Gerichtsmedizin und zu wenige Psychiater. Das andere Problem sei, dass der Prozentsatz der Ärzte unter 30 Jahren gering ist. 33% der Ärzte seien über 65 Jahre alt, was dem Rentenalter entspricht.
Eine ernsthafte Gefahr bestehe bei den Pflegekräften. „In unserem Land gibt es etwa 29.700 Ärzte und in etwa genauso viele Krankenschwestern. Das Verhältnis sollte aber 1: 3 betragen!“, warnt der Professor.
Rajna Bojadschiewa, Vorsitzende des Regionalvorstands der bulgarischen Vereinigung der Gesundheitsberufe in Warna, behauptet, dass es möglich ist, dass die Krankenschwestern in Bulgarien innerhalb von 10 Jahren verschwinden. „Wir haben 1.356 Krankenschwestern, die in unserer Stadt arbeiten. Laut europäischen Standards sollten es 2.800 sein“, sagte sie.
Eine der Maßnahmen zur Bewältigung des Mangels an Krankenschwestern werde darin bestehen, Fachkräfte für das Gesundheitswesen aus der bulgarischen Diaspora im Ausland zu rekrutieren, gab der stellvertretende Gesundheitsminister Georgi Jordanow bekannt.
„Um den Krankenschwesternberuf auszuüben, muss die Fachkraft die Anforderungen der europäischen Richtlinie erfüllen. Das heißt, er oder sie muss Bachelor sein, erklärt Milka Wassilewa, Vorsitzende der bulgarischen Vereinigung der Gesundheitsberufe und fügt hinzu, dass das in Moldau, der Ukraine, Weißrussland und Nordmazedonien nicht der Fall ist. Deshalb müssen die Krankenpfleger aus diesen Ländern ihre Ausbildung anpassen und eine Prüfung für die Beherrschung der Fachsprache in Bulgarisch ablegen“, sagt Milka Wassilewa und erzählt, dass es in den letzten zwei Jahren zehn Kandidaten aus diesen Ländern gab, drei von ihnen sogar mit Bulgaren verheiratet waren und in Bulgarien lebten. Die bulgarische Sprachprüfung hätten sie aber trotzdem nicht bestanden.
„Es ist ein sehr großes Problem. Regierung und Parlament sollten etwas tun, damit dem Beruf zu mehr Ansehen mit einer entsprechenden Bezahlung verholfen wird. Es sollte klare Regeln und Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung geben“, findet Wassilewa.
Die 19-jährige Raja Dimitrowa, die an der Medizinischen Universität Warna eine Krankenschwesternausbildung macht, will unbedingt in ihrer Heimat bleiben, weil sie ihren Landsleuten helfen will.
„Dass die Löhne niedrig sind, stört mich nicht“, sagt sie. „Es ist mir wichtig, an einem Ort zu sein, den ich mag und deshalb möchte ich in Bulgarien bleiben, unabhängig der Bedingungen. Ich habe mit Kollegen gesprochen und sie denken, dass etwas geschehen muss. Auch ich denke so, weil ein Krankenhaus ohne Krankenschwestern nicht funktionieren könnte. Um diese Leute zum Bleiben zu motivieren, muss es Veränderungen im System geben.“
Im Vergleich zum vorangegangenen Jahrgang medizinischer Fachkräfte habe sich bei diesem die Bereitschaft, Bulgarien in Richtung anderer europäischer Staaten zu verlassen, um 8% erhöht, ergab eine Umfrage unter Absolventen an der Medizinischen Universität in Sofia 2021. Wladimir Janew, einer der drei, die mit Auszeichnung ihr Medizinstudium angeschlossen haben, blickt auch gen Westen.
„Ich möchte innere Medizin spezialisieren“, sagt der frisch promovierte Mediziner. „Das wird in Bulgarien nicht so oft gemacht, weil die inneren Krankheiten in separate Fachgebiete unterteilt sind. Ich möchte nach Deutschland gehen, um Kardiologie zu spezialisieren und dann irgendwann zurückkehren.“
Raja Dimitrowa wünscht ihren jungen Kollegen, mit viel Elan diesen humanen Beruf zu studieren. „Bei ihrer Arbeit können sie die wahre Freude in den Augen ihrer Landsleute sehen und sich dadurch zum Bleiben motivieren. Sie sollten nicht nur auf die Situation mit den Löhnen und anderen Problemen im Gesundheitswesen schauen, sondern die Dinge aus menschlicher Sicht betrachten. Das wird sie zu bessen Menschen machen.“
Redaktion: Diana Zankowa nach Interviews von BNR-Hristo Botew und BNR-Warna
Übersetzung: Georgetta Janewa
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