Ca. 6,6 Millionen wahlberechtigte Bulgaren haben heute die Möglichkeit, an der Parlamentswahl teilzunehmen, von der abhängen wird, wie sich die 240-köpfige bulgarische Volksversammlung zusammensetzen wird. Es ist die vierte Parlamentswahl innerhalb von 18 Monaten. Mit welchen Erwartungen und Gefühlen gehen die Bürger am heutigen 2. Oktober zu den Wahlurnen? In den Antworten war Müdigkeit, gemäßigte Hoffnung, aber auch der eindeutige Wunsch nach Veränderung und Transparenz in der politischen Führung zu spüren.
Für die 30-jährige verheiratete Elena, Mutter von zwei Kindern und Geschäftsfrau, kommen die vorgezogenen Wahlen nicht überraschend, auch wenn sie gehofft hatte, dass die Regierungskoalition sich irgendwie einigen würde. Der Grund für den Zerfall der Regierung seien letztendlich die vielen unterschiedlichen Interessen, glaubt Elena.
Der gleichen Meinung ist auch Alexandra: „Die Neuwahl ist für mich erwartet, denn die Politiker bei uns sind viel mehr auf ihre eigenen Interessen fixiert anstatt auf die nationalen.“
Martin, der im IT-Bereich arbeitet, gibt zu, dass er von der Entwicklung der Lage überrascht war. „Die politische Szene in Bulgarien war schon immer unberechenbar. Deshalb war es vielleicht zu erwarten, dass es so kommt“, gibt er zu und erklärt kategorisch, dass er heute von seinem Wahlrecht Gebrauch machen wird.
„Ich bin der Meinung, dass es, angesichts der Konflikte, die im letzten Jahr ausgebrochen sind, und der Inflation auf der ganzen Welt notwendig ist, dass jeder von uns Stellung bezieht und diese auch verteidigt. Die Abstimmung ist eine solche Möglichkeit. Ich werde persönlich für das Neue und Andere stimmen, das es auf der politischen Bühne unseres Landes noch nicht gegeben hat", gibt der junge Bulgare zu.
„Wir sind verpflichtet, von unserem Stimmrecht Gebrauch zu machen und diejenigen zu wählen, die uns regieren werden. Anderenfalls wird sich alles wiederholen“, sagt Maja, die gerade Mutter geworden ist. „Ich glaube nicht an politische Versprechen. Vielmehr vertraue ich bestimmten Persönlichkeiten, die ich mag, und ich werde meine Stimme für sie abgeben. Das ist meine Wahl für die Zukunft meiner Familie und meines Kindes", fügte sie hinzu.
„Ich werde für eine faire und transparente Regierungsführung stimmen“, erklärt Elena, dafür, dass viele Prozesse vereinfacht werden, beginnend mit der Digitalisierung. So werden die Projekte für alle sichtbar und nachvollziehbar sein. Ich hoffe sehr, dass das passiert. Mit Sicherheit wird das ein langsamer Weg sein, aber ich denke, dass die Menschen damit begonnen haben, ihre Einstellung und ihr Denken zu ändern. Ich bin fest überzeugt, dass die Zivilgesellschaft der Katalysator sein muss, der zu dieser Veränderung führt.“
„Ich wünsche mir ein besseres Leben für die Kinder, die gerade aufwachsen und sich entwickeln und dass es mehr potenzielle Arbeitsplätze für immer mehr Menschen gibt. Es darf keinen Grund für ein diskriminierendes Verhalten geben“, so formuliert Alexandra ihre Träume.
Die häufigen Wahlen in den letzten zwei Jahren haben die Frage nach den Stimmen der Bulgaren im Ausland deutlich in den Vordergrund gerückt. Bis zum 6. September 2022, dem Stichtag für das Einreichen der Anträge für die Wahlbeteiligung im Ausland bei der Zentralen Wahlkommission, wurden 50.865 Anträge gezählt. Insgesamt werden heute 755 Wahllokale in 61 Ländern öffnen, die meisten davon in der Türkei - 166, Großbritannien - 126, Deutschland - 77, Griechenland - 72 und Spanien - 65.
Können unsere Landsleute im Ausland eine hinreichend informierte Wahl treffen und haben sie das moralische Recht, über die Zukunft der in Bulgarien lebenden Menschen zu entscheiden. Diese Fragen wurden nach den Parlamentswahlen im November 2021 in der Öffentlichkeit in Bulgarien rege diskutiert.
„Die Auslandsbulgaren haben bei den letzten Wahlen den Wahlausgang deutlich mitbestimmt“, erklärt Maja, die überzeugt ist, dass ihr Wahlrecht berechtigt ist.
Auch Martin ist überzeugt, dass es ihre Verantwortung als Bürger ist, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen.
„Meine Meinung ist, dass jeder bulgarische Bürger, unabhängig wo er gerade lebt, das Recht haben sollte, für die Zukunft seines Landes zu stimmen. Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass die Familien von vielen im Ausland lebenden Bulgaren, hier leben. Sie haben die Verantwortung, Wähler für ihr Land zu sein“, erklärt Martin.
Nach Ansicht von Elena sollte berücksichtigt werden, dass diese Bulgaren jeden Augenblick entscheiden könnten, in ihre Heimat zurückzukehren. Außerdem würden sie objektiver auf die Geschehnisse im Land blicken, da sie keine politischen Vorurteile haben, glaubt sie.
Es bleibt abzuwarten, wie viele im Ausland lebende Bulgaren heute von ihrem Bürgerwahlrecht Gebrauch machen werden und ob die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft sich auch in der parlamentarischen Zusammensetzung niederschlagen wird.
„Ich versuche, meinen Optimismus zu behalten, obwohl das gar nicht so leicht ist und hoffe, dass alles gut wird “, sagt Martin.
Maja hingegen hat das Gefühl, dass alles beim Alten bleiben und auch das künftige Parlament handlungsunfähig sein wird. Sie prognostiziert nach dieser Parlamentswahl eine weitere Neuwahl.
Übersetzung: Georgetta Janewa
Fotos: Ani Petrowa, BGNES, Facebook /RodinaSydney
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