Der erste symbolträchtige Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyjin der bulgarischen Hauptstadt dauerte einen halben Tag an. Der normale Zuschauer und Hörer fühlte sich, in Anbetracht der Reaktionen und Vorbereitungen der bulgarischen Medien zu Tagesbeginn, wie in Gogols Stück „Revisor“. Alle warteten, redeten, stritten angespannt über den „hohen Gast“, aber nichts war sicher: Ist er da, wird er kommen, was wird er sagen, was wird er fordern, was wird passieren....? Mit einem derartigen Medieninteresse und solchen Sicherheitsmaßnahmen wurden in Sofia bislang nur US-Präsident Bill Clinton 1999 während des Kosovo-Krieges und Papst Johannes Paul II. Im Jahr 2002 empfangen.
Um die Mittagszeit landete die ukrainische Delegation mit Selenskyj an der Spitze wohlbehalten in Sofia. Sie wurden mit dem bulgarischen Regierungsflugzeug von Chisinau nach Sofia geflogen. Im sonnenüberfluteten Zentrum der Hauptstadt, im so genannten Dreieck der Macht, wurden die Gäste zunächst im Ministerrat empfangen.
Prof. Dimitar Wazow, Professor für Philosophie an der Neuen Bulgarischen Universität, kommentierte gegenüberdem BNR:
„Der Besuch von Wolodymyr Selenskyj ist an sich sehr wichtig. Er ist im Moment der wahre Führer der freien Welt. Wir können sagen, dass derzeit nicht Joe Biden (der Präsident der Vereinigten Staaten) und nicht Ursula von der Leyen (die Präsidentin der Europäischen Kommission), sondern in einem realen, lebendigen Sinn derzeit Selenskyj sozusagen die Fahne unserer Freiheit ist... Und er ist nicht nur einfach so nach Bulgarien gekommen, sondern er ist gekommen, und das hat er betont, um sich zu bedanken – zum einen für die militärische Unterstützung, zum anderen für die Hilfe für die ukrainischen Flüchtlinge.“
Nach den Gesprächen mit den Mitgliedern des Kabinetts von Premierminister Nikolaj Denkow sagte Selenskyj, es sei vereinbart worden, „die Zusammenarbeit mit Bulgarien im Verteidigungsbereich zu verstärken. Wir verlassen uns auf die Unterstützung, die Sie uns leisten und die uns geholfen hat, viele Menschen zu schützen. Wir setzen die Gespräche über die medizinische Behandlung der ukrainischen Soldaten in Ihrem Land fort. Wir haben die Zusammenarbeit im Energiebereich erörtert – das wird zu einer der Prioritäten in der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern. Wir zählen auf Sie, wenn es um die künftige EU- und NATO-Mitgliedschaft der Ukraine geht“, sagte Selenskyj.
Obwohl Selenskyjs Visite in Bulgarien laut Protokoll auf Einladung der Regierung erfolgt ist, hat auch der bulgarische Staatschef Rumen Radew seinen ukrainischen Amtskollegen im Präsidentschaftsgebäude empfangen.
„Das Treffen zwischen den beiden Präsidenten war sehr interessant. Wir wurden Zeuge eines indirekten, aber deutlichen Aufeinanderpralls zweierunterschiedlicher Thesen. Die eine ist die These unseres Präsidenten Rumen Radew, der seit langem wiederholt, dass die Gewährung von Militärhilfe an die Ukraine eine Verwicklung unseres Landes in einen Krieg bedeutet. Daserklärte auch Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, anlässlich der Visite von Selenskyj in Bulgarien. Diese These wird von vielen prorussischen Kreisen in ganz Europa unterstützt, von jenen, die die Märsche für Frieden und Neutralität organisieren, die nicht nur für uns charakteristisch sind“, sagte Prof. Wazow.
„Ich möchte unsere Solidarität mit dem ukrainischen Volk und den Opfern dieses grausamen Krieges, der auch derzeit wütet, zum Ausdruck bringen“, sagte Präsident Radew zu Beginn des Treffens. Selenskyj fragte den Gastgeber, warum er das unterzeichnete bulgarisch-ukrainische Memorandum über Munitionshilfe nicht unterstütze. „Sagen Sie das als Oberbefehlshaber - damit Ihre Armee nicht geschwächt wird oder unterstützen Sie nicht die Kräftigung der Ukraine? Das sind unterschiedliche Dinge. Alles, was Sie in Ihrer Armee haben, wird nicht ausreichen, um gegen die Russische Föderation zu kämpfen, falls sie hierher kommt. Nicht, dass Ihre Armee schwach wäre, aber sie würde nicht ausreichen, um gegen ein Land mit 160 Millionen Einwohnern zu kämpfen. Deshalb wäre es gut, den Menschen eine Chance zu geben, sich verteidigen zu können. Der Krieg kennt keine Distanz. Sollte es, Gott bewahre, zu einer Tragödie kommen, was würdet ihr tun, falls euch Menschen, die eure Werte teilen, nicht mit Waffen helfen“, sagte Selenskyj zu Radew.
Der ukrainische Präsident hat keine Rede in der Volksversammlung gehalten, weil die Parteien „Wasraschdane“und BSP ihn nicht anhören wollten. Aber er traf sich mit den parlamentarischen Kräften, die die Mehrheit im Parlament bilden und die Verteidigung der Ukraine unterstützen.
Im Gegensatz zur wortlosen Schlussszene im klassischen Stück „Revisor“ endete der Besuch von Wolodymyr Selenskyj in Sofia mit einer sehr offenen und emotionalen Pressekonferenz für die bulgarischen Medien. Das Gespräch wird in die Geschichte eingehen, aber nicht, weil es im Nationalen Geschichtsmuseum stattfand, sondern weil Selenskyj vor den bulgarischen Medien alle Thesen der russischen Propaganda in Bulgarien überzeugend widerlegt hat.
„Mehr als 140.000 Menschen haben in Bulgarien Schutz erhalten. Ihr applaudiert mich,aber ich möchte, dass ihr euch selbst applaudiert für alles, was ihr für unser Volk getan habt“, sagte Selenskyj im Saal, in dem – ob nun zufällig oder nicht - Exponate aus dem mittelalterlichen Großbulgarischen Reich ausgestellt sind. Im 7. Jahrhundert brachen einst die Bulgaren vom Gebiet der heutigen Ukraine und der Krim auf, um sich schließlich auf dem Balkan niederzulassen.
„Wir geben uns Mühe, damit unsere Landsleute in die Heimat, in ihre Häuser in der Ukraine zurückzukehren und dort sicher sein können. Das ist sehr notwendig und wir haben das Gefühl, dass es möglich werden könnte. Alles hängt von der Stärke dieser wichtigen Unterstützung ab, die wir zur Verteidigung einsetzen“, betonte der ukrainische Präsident.
Anschließend flog der Gast nach Prag. Schade, dass er nicht einen ganzen Tag in Bulgarien verbringen konnte.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: BTA
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