Am 6. September, dem Tag, an dem Bulgarien den 138. Jahrestag der Vereinigung seines nach der Befreiung Bulgariens von der osmanischen Herrschaft 1878 zerstückelten Territoriums feiert, sprechen wir mit Wera Bontschewa, Professorin für Geschichte, über den großen bulgarischen Volksaufklärer Gawril Krastewitsch.
So wie es der historische Zufall wollte, laut Hegel manifestiert der Zufall immer eine Notwendigkeit, stand Gawril Krastewitsch, Vorreiter der Selbständigkeit der bulgarischen Kirche und Begründer der bulgarischen Eparchie, im schicksalhaften Jahr 1885 an der Spitze der autonomen Region Ostrumelien und leistete einen wichtigen Beitrag für die friedliche und erfolgreiche Umsetzung der Vereinigung des Fürstentums Bulgarien am 6. September.
„1884 wurde Gawril Krastewitsch zum Gouverneur der autonomen Provinz Ostrumelien erklärt, sofort nachdem das Mandat seines Vorgängers Aleko Bogoridi abgelaufen war. Bogoridi hatte es nicht geschafft, im geforderten Maße das Vertrauen der Hohen Pforte und vor allem der Großmächte zu gewinnen, die das zarte Gleichgewicht in der Provinz aufrecht erhielten. Zuvor war Krastewitsch Generalsekretär des Gouverneurs Aleko Bogoridi, beherrschte im Gegensatz zu ihm die bulgarische Sprache und pflegte Kontakte zu den wichtigsten politischen Kräften. Als Minister für innere Angelegenheiten und späterer Gouverneur stand er der Bewegung für die Vereinigung Bulgariens nicht ablehnend gegenüber, konnte aber als osmanische Amtsperson die Komitees für die Vereinigung nicht unterstützen. Als aber deutlich wurde, dass die Vereinigung unausweichlich ist, organisierte er in seiner Residenz die Versammlung der Minister der Administration. Den von Konstantin Welitschkow unterbreiteten Vorschlag, dass die Administration selbst die Vereinigung ausrufen sollte, lehnte Krastewitsch jedoch ab, genauso wie das Angebot seitens der Russen für eine militärische Unterstützung“, stelt Prof. Wera Bontschewa klar.
„Es wurde ein für solche Fälle obligatorisches Telegramm an die türkische Regierung verfasst, Truppen nach Ostrumelien zu entsenden, denn die Unruhen hatten bereits am 2. September begonnen. Als Gouverneur war Gawril Krastewitsch dazu verpflichtet. Er übergab das Telegramm an seinen Diener, der es zur Post bringen sollte. Als die Versammlung aufgelöst wurde und die Minister nach Hause gingen, rief er den Diener zu sich und nahm ihm das Telegramm ab. Durch diese Doppelaktion hat er den Einmarsch der türkischen Truppen in die autonome Region verhindert“, betont die Professorin.
Der 6. September 1885 fiel auf einen Freitag. Am 8. September sollte die Hochzeit von Michal Madscharow, einem der Minister in der ostrumelischen Regierung stattfinden. Um die Minister vor der drohenden Verwirrung zu schützen, schlug ihnen Krastewitsch bei dem selben Treffen am 5. September vor, dass alle gemeinsam zur Hochzeit fahren sollten. Er wolle daheimbleiben, um allein die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Damit wurden einige der Oppositionsaktivisten und der Unentschlossenen aus Plowdiw hinausgeführt, die den Standpunkt vertraten, dass die Regierung sich konservativ und protürkisch verhalten sollte.
„Am Tag der Wiedervereinigung wurde Gawril Krastewitsch verhaftet und mit einer Pferdekutsche zum Spott der Bürgerschaft durch die Stadt gefahren. Neben ihn, mit erhobenem Säbel stand Nedjalka Schilewa, was ihn, den alten Kämpfer für die Unabhängigkeit Bulgariens, zusätzlich gekränkt hat“, erzählt die Geschichtswissenschaftlerin weiter.
Seine Verbannung aus Plowdiw hinterließ einen schlechten Beigeschmack und dennoch wurde er von der bulgarischen Öffentlichkeit geschätzt. In Erinnerung sind seine Worte geblieben: „Auch ich bin ein Bulgare und habe nichts dagegen, dass die Vereinigung realisiert wird.“ Als die Nachricht über sein Ableben am 16. November 1898 das bulgarische Parlament erreichte, standen alle Abgeordneten auf, um ihm mit einer Schweigeminute die letzte Ehre zu erweisen. Es gab zahlreiche Nachrufe, eines davon vom Patriarchen der bulgarischen Literatur, Iwan Wasow, verfasst, der sie mit den legendären Worten von Krastewitsch selbst beendete: „Der wahre Verdienst ist demütig und würdig.“
Am Ende des Gesprächs sagte die Forscherin, dass Gawril Krastewitsch,genauso wie der große Revolutionär Georgi Sawa Rakowski, in Kotel geboren wurde und beide vom damals berühmten Lehrer Rajno Popowitsch unterrichtet wurden. Ihre Lebenswege trennten sich jedoch – der eine wurde zum Anführer der Revolutionäre der bulgarischen nationalen Befreiungsbewegung, während der andere ein Evolutionist war, der die höchsten juristischenÄmter im Osmanischen Reich bekleidete, jedoch ständig versucht hat, die nationalen Interessen Bulgariens bei jeder sich bietenden Gelegenheit im imperialen und internationalen System zu vertreten.
„Die Geschichte ist nicht immer unparteiisch und wahrheitsgetreu“, sagt Prof. Wera Bontschewa. „Die Geschichte wird von den Menschen beeinflusst, die sie machen und es muss betont werden, dass der gemäßigtere, bescheidenere, zurückhaltende und in sich gekehrte Gawril Krastewitsch objektiv und subjektiv keine Chance hat, die historische Anerkennung zu erhalten, die sein persönlicher Freund und Mitschüler Georgi Stojkow Rakowski erhalten hat“, sagte abschließend Prof. Wera Bontschewa.
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Übersetzung: Georgetta Janewa
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