Sendung auf Deutsch
Textgröße
Bulgarischer Nationaler Rundfunk © 2024 Alle Rechte vorbehalten

Wann wurde das glagolitische Alphabet geschaffen?

Ist 855 das Entstehungsjahr der slawischen Schrift? Radio Bulgarien und Doz. Atanassowa auf der Suche nach der Antwort in historischen Quellen

8
„Über die Buchstaben“ von Tschernorisez Chrabar
Foto: uni-plovdiv.bg

Ist das slawische Alphabet bulgarisch?
In verschiedenen Interpretationen historischer Fakten, die aus dem Kontext gerissen werden, ist immer öfter zu lesen, dass die beiden Brüder Kyrill und Method aus Thessaloniki die älteste slawische Schrift nicht für die Bulgaren, sondern für die mährischen Slawen im Auftrag von Fürst Rostislaw geschaffen haben und dass sie nie vorher in Bulgarien gewesen sind.


„Ja, sie kommen aus Thessaloniki“, erklärte für „Radio Bulgarien“ Prof. Elka Mirtschewa, stellvertretende Direktorin des Instituts für bulgarische Sprache an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. „Die Stadt war damals dicht besiedelt mit einer kompakten slawischen bulgarischen Bevölkerung, die in einem ostbulgarischen Dialekt sprach, ähnlich der Mundarten in den Rhodopen“, präzisierte sie.

Prof. Elka Mirtschewa

Diesen Dialekt nahmen Kyrill und Method als Grundlage für das Alphabet, das sie schufen. Prof. Mirtschewa bezeichnet es als einen einmaligen und herausragenden Beitrag, dass es Konstantin, genannt Kyrill der Philosoph, gelungen ist, für jeden Laut einen ganz bestimmten Buchstaben zu finden und damit alle Besonderheiten der bulgarischen Sprache abzudecken. Es ist eine unbestreitbare historische Tatsache, dass Konstantin-Kyrill der Philosoph der Autor unserer Schrift ist. Er war es, der in der Mitte des 9. Jahrhunderts ein slawisches Alphabet schuf, das er „glagolitisch“ nannte und in das er zusammen mit seinem Bruder Method die liturgischen Bücher übersetzte. 

Wann wurde das glagolitische Alphabet geschaffen?

Und hier kommt die andere umstrittene Frage: Ist 855 das genaue Entstehungsjahr unserer Schrift? Es ist das Jahr, das offiziell im bulgarischen Bildungswesen und in der Öffentlichkeit bekannt ist, aber Doz. Diana Atanassowa von der Fakultät für slawische Philologien der Sofioter Universität „Hl. Kliment von Orchrid“, Abteilung für Kyrill- und Method-Forschung und Spezialistin für mittelalterliche bulgarische Literatur, erzählte uns von einer anderen Hypothese.

Diana Atanassowa

„Das einzige schriftliche Denkmal, in dem eine konkrete Zahl genannt wird, ist die Apologie „Über die Buchstaben“ von Tschernorisez Chrabar (Mönch Chrabr). Die darin angegebene Jahreszahl ist 6363. Sie kann nach den verschiedenen im Mittelalter verwendeten Kalendern umgerechnet werden. Es gab mehrere Kalender, aber die populärsten waren der byzantinische und der alexandrinische, denen zufolge die besagte Jahreszahl jeweils dem Jahr 855 bzw. 863 entspricht. Viele Historiker unterstützen die These, dass es sich um das Jahr 855 handelt, weil es in der Lebensbeschreibung des Heiligen Kyrill heißt, dass er zu dieser Zeit zu seinem Bruder Methods in ein Kloster in Kleinasien auf dem Olymp ging, dass die beiden sich dort aufhielten und mit Schrifttum beschäftigten. Außerdem braucht die Übersetzung der Heiligen Schrift Zeit. Und das ist ein zusätzliches Argument in der bulgarischen Geschichtswissenschaft - dass die Heiligen Brüder Kyrill und Method zu jener Zeit das Alphabet erschaffen haben, was Zeit brauchte. Aber es stellt sich sofort die Frage: Für wen haben sie dieses Alphabet geschaffen? Wer brauchte es? Und hier kommen zusätzliche Interpretationen historischer Quellen ins Spiel. Sie beziehen sich auf die unumstrittene Politik von Byzanz, deren Ziel die Evangelisierung der Völker war, die die umliegenden Gebiete bewohnten, und die der Grund für die Schaffung unserer Schrift war“, sagte Doz. Diana Atanassowa.


„Radio Bulgarien“ hat auch eine eigene, unabhängige Recherche vorgenommen, aber sie hat keine eindeutige Antwort der KI ergeben, die nach langem Hin und Her zwischen den acht Jahren Differenz keine endgültige Antwort geben konnte.Egal ob wir heute das in der Schule Gelernte in Frage stellen oder dem akademischen Fachwissen über das genaue Jahr der Entstehung des glagolitischen Alphabets vertrauen, egal ob das glagolitische Alphabet weiterhin als bulgarisch oder slawisch bezeichnen wird - eines ist sicher: Seine immense Bedeutung für die Bildung und Erhaltung der bulgarischen nationalen Identität. Und genau seine humanitäre Bedeutung wurde von Doz. Atanassowa während des Internationalen Wissenschaftlichen Forums in Athen, das den Heiligen Brüdern Kyrill und Method gewidmet war, in ihrem wissenschaftlichen Vortrag hervorgehoben:


„Die Schüler von Kyrill und Method mussten eine Sprache schaffen, nicht nur Schriftzeichen. Und ihre Arbeit ist auch deshalb außergewöhnlich, weil die Schaffung dieser Sprache zur Entstehung einer Literatur führte, deren Prestige und Autorität den bedeutendsten und anerkanntesten heiligen Sprachen der Zeit gleichkam“, so Doz. Diana Atanassowa abschließend.


Lesen Sie auch:


Übersetzung: Rossiza Radulowa 






Последвайте ни и в Google News Showcase, за да научите най-важното от деня!

mehr aus dieser Rubrik…

Plowdiw stellt von der Natur inspirierte Kinderzeichnungen und „Baum der Wünsche“ aus

Nach dem Erfolg des Festivals „Wir sind die Kinder des Flusses“ im September arbeitet eine Bürgerstiftung erneut mit dem Zentralen Bezirk von Plowdiwzusammen. Der Anlass ist diesmal eine Sonderausstellung mit Kinderzeichnungen, die von der..

veröffentlicht am 24.11.24 um 09:25

Abenteuerkino aus 39 Ländern bei Bansko Film Fest

Zum 23. Mal entführt das Team des Bansko Film Fest das Publikum mit 75 Filmen aus 39 Ländern in einige der extremsten Gegenden der Welt. „Alles sind Premieren, für einige von ihnen werden die Vorführungen in Bansko Weltpremieren sein“,..

veröffentlicht am 17.11.24 um 09:25

Ausstellung zeitgenössischer bulgarischer Kunst „Scham und Schuld“ in Berlin

Heute wird im Bulgarischen Kulturinstitut in Berlin die Gruppenausstellung zeitgenössischer Kunst „Scham und Schuld“ eröffnet. Zu sehen sind Werke der jungen Künstler Maria Nalbantowa, Martin Penew, Martina Watschewa, Newena Ekimowa und Radostin..

veröffentlicht am 14.11.24 um 11:35