„Bevor ich das Trapez des Todes erfunden habe, hieß ich Lasar Dobritsch, und so haben sie mich auf die Plakate und Programme geschrieben.“ Der Herrscher der Weltzirkuskunst wird immer für das gewagteste Kunststück in Erinnerung bleiben, balancierend zwischen dem Jenseits und der irdischen Sehnsucht nach Kraft, Freiheit und Schönheit.
Von klein auf turnte Lasar Dobritsch mit Recken und Ringen und liebte es, auf seinen Händen zu laufen. Der 1881 im Dorf Rawno Pole bei Sofia geborene künftige Zirkusartist fand seine Berufung im Alter von sechzehn Jahren, als er mit dem letzten Rest seines Stipendiums an der Polytechnischen Schule in der französischen Stadt Anier in Paris landete.
„Mit seinem ganzen Geld kaufte er die billigste Eintrittskarte für das Varieté der Folies Bergère“, erzählte Magdalena Gigowa in der Sendung „Adressen der Liebe“ auf Radio Sofia des Bulgarischen Nationalen Rundfunks und weiter: „Die rumänische Truppe Dimitrescu war in der Aufführung zu sehen. In der Unterbrechung lernte der Bulgare einen der Akrobaten - Yves Florian - kennen, der ihn dem Vorstand vorstellte. Noch am selben Tag verließ er die Schule und reiste mit den Rumänen nach Brüssel. Sein Debüt als professioneller Artist hat er am 1. Oktober 1897 mit dem gefährlichsten Trick des Programms, dem Salto mortale, dem Todessprung, gegeben. Sein Erfolg war unglaublich.“
Ein Jahr später, wieder in dem Pariser Varieté, das ihm den Weg zum Ruhm eröffnete, stürzte er ins Dunkel. Während er von der Spitze des Zirkuszeltes mit ausgestreckten Armen in Richtung des Sicherheitsnetzes flog, fiel einer der Stützbalken auf ihn. „Es gibt keinen Grund zur Eile, er ist tot“, sagte eine Krankenschwester kurz darauf zu den Pflegern, die den Körper ins Krankenhaus trugen. Lasar Dobritsch stieß jedoch ein leises Stöhnen aus und wurde in den Operationssaal statt in die Leichenhalle gebracht.
Wie durch ein Wunder besiegte er den Tod und begann einen weiteren Flirt mit ihm, der seinerseits seinen Mut zu testen schien, wie weit er sich an ihn heranwagen würde. Und so kam ihm die richtige Idee.
„1905 wurde Berlin mit bunten Plakaten überschwemmt, wo in großen Lettern zu lesen war: “Der Bulgare Iwanow - der Erfinder des “Trapezes des Todes”. Der Zirkus Schumann war bis auf den letzten Platz gefüllt, das Trapez des Todes drehte sich und das Publikum war begeistert. Zirkusdirektoren kämpften darum, Lasar Dobritsch in ihr Programm aufnehmen zu dürfen“, erzähltе Magdalena Gigowa weiter.
In seinem Buch „Der Sprung des Todes“ beschrieb er die Inspiration, die ihn überkam und ihn zum gefragtesten Künstler machte.
„Eines Tages spazierte ich durch den Freizeitpark der ungarischen Stadt Papa südlich von Budapest. Ich schaute mir die Schiffschaukeln an, die heute in allen Vergnügungsparks zu finden sind. In seinem Wunsch, alle zu übertrumpfen und seiner Geliebten zu gefallen, trieb ein Mann seine Schaukel so stark an, dass sie über die horizontale Linie flog. Ich beobachtete die Schaukel mit dem Gedanken: Wenn der horizontale Balken durch eine starke Metallachse ersetzt würde, könnte sich die Schaukel überschlagen, falls man sie stark genug antreibt. Könnte ich das nicht tun und einen beispiellosen und sensationellenTrick vollbringen?“
Mit seinem Trapez des Todes tourte Lasar Dobritsch durch Europa, Asien und Nordamerika. Damit die Vorstellung jedoch wirkungsvoller ist, brauche er eine Frau – „jung, schlank, elegant und schön“ – die ihn dem Publikum vorstellt und während der Vorstellung auf der Bühne steht. Ihm wurde die junge Zirkusreiterin - Minnie Nietzsche - empfohlen. Sie stellte sich wie folgt vor: „Mein Vater war ein gelehrter Mann – ein Philosoph, aber der Kampf ums Überleben zwang mich, Zirkusartistin zu werden, da mir die Mittel für die Fortsetzung meines Studiums fehlten.“ Auf die Frage, wie Ihr Vater mit Vornamen hieß, antwortete sie: „Friedrich.“ Doch nach dem großen Erfolg der Deutschland-Tour fühlte sich die Assistentin von seinem Ruhm in den Schatten gestellt und kehrte in ihre angestammte Rolle in der Arena zurück.
Als in Bulgarien die Mobilisierung begann, kehrte Lasar Dobritschwie seine Mitbürger aus patriotischer Pflicht nach Bulgarien zurück. Er nahm an zwei Kriegen teil – dem Balkankrieg und dem Ersten Weltkrieg. Anschließend reiste er weiter um die Welt und erzielte beispiellose Erfolge.
„Hunderttausende Kilometer liegen hinter mir. Einmal habe ich die Erde umrundet, sechsmal den Äquator überquert. Ich habe die Welt vom Gipfel des Vesuvs aus gesehen, ich bin in die schrecklichen Stürme des Pazifischen Ozeans geraten und ich habe das Erdbeben von San Francisco im Jahr 1906 überlebt, bei dem 100.000 Menschen starben“, zitierte ihn die Zeitung „Abendnachrichten“ im Jahr 1969. In der Zwischenzeit stellte ihn das Leben vor eine weitere Prüfung.
„Er erlebte auch einen echten Schiffbruch – fast wie den der Titanic. Nach einer Reise nach England mussten Lasar Dobritschund seine Truppe nach Dresden und von dort in die Niederlande weiterreisen. Plötzlich kam es zu einem fürchterlichen Seesturm. Er sprach mit dem Bootsmann, der ihm sagte, dass es ein Wunder wäre, wenn sie die niederländische Küste erreichen würden”, erzählte Magdalena Gigowa.
„Ich wachte im Krankenhaus auf – wir hatten uns aus den Klauen des Todes befreit“, erinnerte sich Lasar Dobritsch nach dem Schiffbruch. Mit dem Geld aus der Entschädigung bestellte er das erste „Trapez des Todes“.
Obwohl er auf der ganzen Welt mit offenen Armen empfangen wurde, vergaß er nie seine Heimat. Im Jahr 1919 baute er zusammen mit seinem Bruder Alexander, ebenfalls Zirkusartist, den Zirkus„Kolosseum“ in Sofia. Er gründete außerdem den „Royal-Dobritsch-Zirkus“, bildete einen Großteil der Zirkusartisten im Nachkriegsbulgarien aus und wurde Chefdirektor der Direktion „Bulgarische Zirkusse“. Der „Goldene Fonds“ des Bulgarischen Nationalen Rundfunks bewahrt die Erinnerung des Schauspielers Pentscho Petrow aus dem Jahr 1974 an den Zirkuskünstler auf:
„Den Artisten Lasar Dobritschsah ich zum ersten Mal in dem von ihm geleiteten Zirkus. Neben den waghalsigen und atemberaubenden Todessprüngen blieb mir noch etwas anderes von diesem großen bulgarischen Artisten in Erinnerung. Vor der Vorstellung betrat er die Arena in einem prächtigen Abendanzug, mit gezwirbeltem Schnurrbart und einer Peitsche in der Hand. Er wartete, bis Stille eintrat, und verkündete dann mit sehr lauter, klarer Stimme: „Meine Herren, einer unserer Künstler hat eine goldene Uhr gefunden. Wer sie auch immer verloren hat, bitte kommen Sie in die Arena, um sie abzuholen.“ Die Leute fingen an, Lärm zu machen. Sie fragten sich, wie die Künstler so ehrlich sein konnten. Eine goldene Uhr damals ihrem Besitzer zurückzugeben – dazu bedurfte es einer märchenhaften Moral. Und hier kommt eine Frau in Tränen, gerührt von den guten Künstlern und dankt Lasar Dobritsch”, erzählte Pentscho Petrow und sagte noch:
„Es wurde dann eine Untersuchung eingeleitet, um herauszufinden, ob dies wahr sei, und all dies wurde öffentlich gemacht. Schließlich stellte sich heraus, dass die Uhr tatsächlich dieser Frau gehörte, und Lasar Dobritschgab sie ihr zurück. Der ganze Zirkus applaudierte die edle Geste. Das war meine nächste Lektion – um ein Künstler zu sein, muss man ehrlich sein. Dann wurde mir klar, dass die Uhr einen Trick aus dem Programm war, und ich fragte Lasar Dobritschsogar einmal: „Warum geht bei jedem Ihrer Auftritte eine Uhr, Geld oder ein Ehering verloren?“ „Um uns gegenseitig zu erziehen“, lachte er. „Wen?“, fragte ich. „Die Künstler und das Publikum. Das andere ist ein Spektakel – das können sogar Räuber.“
Lasar Dobritsch verließ unsere Welt im Alter von 89 Jahren und hinterließ der Zirkuskunst etliche Kunststücke.
Heute tritt sein Enkel Christopher Dobrich, der in den USA lebt, in die Fußstapfen seines Großvaters.
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Übersetzung: Antonia Iliewa
Redaktion: Rossiza Radulowa
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