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Tragödie in Kočani in Nordmazedonien löst Welle von Verzweiflung, Wut und Entschlossenheit aus

Foto: BGNES

In Nordmazedonien wurde eine siebentätige Staatstrauer angeordnet. Die Stadt Kočani ist in befangenem Schweigen gehüllt. Dort kamen bei einem Brand in einer Diskothek in der Nacht zu Sonntag, vorläufigen Angaben zufolge, mindestens 59 Menschen ums Leben - Jugendliche und Kinder, fast alle zwischen 14 und 25 Jahren. 



„Die Mahnwache im Stadtpark dauerte stundenlang an. Tausende von Kerzen brannten so ab wie die Menschen in der Diskothek. Dann wurde es still“, berichtet die BNR-Reporterin Keti Trentschewa.   
Zeugen des Horrors in der Disco wurden die 17-jährigen Sandra, Viktoria und Angela, die den Auftritt ihrer Lieblingsrapper von der Band DNA erleben wollten. Sie hatten das Glück, direkt neben der einzigen Tür in der Diskothek zu stehen, die gleichzeitig Ein- und Ausgang war. „Es ist unbeschreiblich! Das Feuer brach direkt vor unseren Augen aus“, erzählen die Mädchen. „Direkt vor uns gingen Menschen in Flammen auf. Zunächst hieß es, dass wir bleiben sollten, sie wollten das Feuer löschen. Dann hieß es: "Rennt!“ „Es gab nur eine einzige kleine Tür und wir rannten los, Menschen fielen übereinander …überall gab es Tote. Einige unserer Freunde sind gestorben, andere kämpfen um ihr Leben. Wir sind seit heute früh in der Kirche und beten.“
Die Jugendlichen haben erfahren, dass es weder für die Diskothek noch für die benutzte Pyrotechnik eine Lizenz gab und fordern, dass die zuständigen Institutionen zur Verantwortung gezogen werden. 


„Die jungen Menschen wollten sich amüsieren und sind unschuldige Opfer von Menschen geworden, die Fehler begangen haben. Mütter schrien herzzerreisend, Väter weinten und beschuldigten jeden, der mit einem Mikrofon vor ihnen stand. Eine lebendige Kette der Entschlossenheit versperrte den Behörden den Weg, die die Leichen zur Autopsie bringen wollten. Die Eltern wollten ihre toten Kinder nicht hergeben“, beschreibt die Reporterin des Bulgarischen Nationalen Rundfunks das unfassbare Leid der Eltern.
Eine Mutter, die ihr einziges Kind verloren hat, kann die Erklärung nicht akzeptieren, dass der Staat sie finanziell unterstützen wolle. „Ich hatte ein einziges Kind und das ist nicht mehr da! Ihr da oben im Parlament seid schuld! Jeden Tag habt ihr Geld genommen und immer war es zu wenig. Ihr sollt mit dem Geld nicht selig werden. Ihr sollt keinen Frieden damit finden“, verflucht sie die Herrschenden.



Tatsache ist, dass die Diskothek nicht dafür bestimmt war, so viele Menschen aufzunehmen. Es wird geschätzt, dass es über tausend Besucher waren, darunter auch Minderjährige ohne Eltern, erklärt der Journalist Toshko Vlajkovski, der bei der Tragödie ebenfalls einen Angehörigen verloren hat.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Tragödie kam Zoran Todorov den Angehörigen der Opfer zu Hilfe. Er ist Co-Vorsitzender der Organisation für Freundschaft zwischen Bulgarien und Nordmazedonien und Slowenien, in der die Rotary Clubs der Region vereint sind. Seine Kollegen aus ganz Südosteuropa sind im Einsatz, um Medikamente und Arzneimittel zu sammeln. Es stellte sich heraus, dass es im Krankenhaus in Kočani in der Nacht der Tragödie keinen Sauerstoff gab und auch deshalb Menschen sterben mussten. „Jetzt sind wir in Trauer, wir wollen uns der Trauer über diesen großen Verlust stellen. Aber in einer Woche werden wir unnachgiebig und wütend sein“, warnt er und fordert, dass die Fragen der Menschen eine eindeutige Antwort bekommen.
„Wir wissen nicht, wie wir mit der überwältigenden Trauer in unserer Stadt umgehen sollen. Wir sind all unseren Freunden aus allen Ländern und aus Bulgarien dankbar, die gekommen sind, um uns zu helfen. Wir werden nicht zulassen, dass das, was passiert ist, vergessen wird! Wir werden jeden zur Rechenschaft ziehen, der an dieser Tragödie beteiligt war. Schreckliche Szenen haben sich dort abgespielt. Wir wussten nicht, dass die Disco keine Lizenz hatte. Es ist nicht die Aufgabe der Menschen, nach ordnungsgemäßen Papieren zu fragen. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass die Institutionen funktionieren. Wir werden darauf bestehen, dass alles bis ins Detail geklärt wird, denn das ist eine beispiellose Tragödie nicht nur für Kočani und Nordmazedonien, sondern für den gesamten Balkan.“



Kočani ist in tiefer Trauer und Schweigen gehüllt, aber darunter brodelt die wachsende Wut der Bürger der Stadt. Gegen 11 Personen, unter ihnen laut inoffiziellen Angaben auch der Eigentümer der Diskothek, ermittelt die Staatsanwaltschaft in Nordmazedonien, informiert der Journalist Alexander Dimitrievski. Er erklärte für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk, dass es bei den Ermittlungen um Vorwürfe der Unterlassung, der illegalen Verwendung von Pyrotechnik und Bestechung geht. 
„Es gibt es kein Problem in Bezug auf die Gesetzgebung in Nordmazedonien, das Problem liegt in der Umsetzung der Gesetze!“, unterstreicht der Journalist und erklärt, dass die Verwendung von Pyrotechnik in geschlossenen Räumen zulässig ist, dass aber vorausgesetzt wird, dass die entsprechenden Genehmigungen vorliegen und nur lizenzierte Personen damit umgehen. „In diesem Fall wurde nichts davon erfüllt, die gesamte Tätigkeit dieses Clubs war eine Improvisation“, so Alexander Dimitrievski.


Ob der Schmerz der Eltern und die Verzweiflung der Menschen in Nordmazedonien zu ähnlichen Protesten führen wie diese in Serbien, die ebenfalls durch eine menschliche Tragödie nach dem Absturz eines Teils des Bahnhofs von Novi Sad ausgelöst wurden?
„Das ist schwer zu sagen, antwortet Dimitrievski. „Der gestrige Tag begann mit einer Ungläubigkeit, die sich in Wut verwandelte, und der Abend endete mit einer Enttäuschung, denn diese ist nicht die einzige Tragödie in den letzten Jahren, die sich aus ähnlichen Gründen ereignet hat, weil jemand etwas gearbeitet hat, wofür er keine Berechtigung hatte oder weil er sie auf illegale Weise erworben hat. Das Besondere an der Situation in Nordmazedonien ist, dass wir eine neue Regierung haben, die erst seit etwa 9 Monaten im Amt ist, so dass es schwierig ist, ihr die Schuld an den Ereignissen zu geben. Andererseits muss die derzeitige Regierung die moralische und politische Verantwortung für die Situation im Land übernehmen“, schlussfolgert der Journalist.

Agneza Rusi Poposka

In der Botschaft Nordmazedoniens in Sofia wird in den nächsten fünf Tagen ein Kondolenzbuch ausliegen, in der Vertreter der Institutionen, der diplomatischen Vertretungen und die bulgarischen Bürger ihr Mitgefühl mit den Familien ausdrücken können, die ihre Kinder in der Diskothek in Kočani verloren haben“, gab Agneza Rusi Poposka für den BNR bekannt. Sie dankte Bulgarien für seine schnelle Reaktion sowie den medizinischen Teams, die die Verletzten in den Krankenhäusern in Sofia, Plowdiw und Stara Sagora versorgen. „Ich möchte vor allem den Medizinern meinen Dank aussprechen. Unsere Kontakte mit den Ärzten in allen drei Krankenhäusern sind ein echtes Beispiel für Solidarität und Professionalität in schmerzhaften Momenten“, sagte die Botschafterin.




Zusammengestellt: Elena Karkalanowa nach Interviews von Keti Trentschewa und Diana Dontschewa.
Übersetzung: Georgetta Janewa



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