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Was begehen die Bulgaren am 9. Mai - den Europatag oder den Tag des Sieges?

Foto: BGNES

Europatag oder Tag des Sieges? 8. oder 9. Mai? Nicht, dass wir nicht ständig mit gesellschaftlich spaltenden Themen konfrontiert wären, aber auch das aktuelle Datum - der 9. Mai, Tag des Sieges über Nazideutschland 1945 im Zweiten Weltkrieg - sorgt jedes Jahr für Diskussionen.

Es sei darauf hingewiesen, dass sogar der Tag selbst, an dem der Feiertag begangen wird, umstritten ist.

In den westlichen Ländern, die am Sieg über Nazideutschland beteiligt waren, wird der Feiertag am 8. Mai begangen, während er im postsowjetischen Raum traditionell am 9. Mai gefeiert wird.

Der Grund dafür ist die Zeitverschiebung, aber auch eine reine Formalität - die Kapitulation des Dritten Reiches wurde auf Drängen der sowjetischen Seite zweimal unterzeichnet.

Am 9. Mai wird aber auch der Europatag gefeiert. An diesem Datum wurde 1950 symbolisch die Schuman-Erklärung unterzeichnet, die den Grundstein für die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) legte, aus der später die heutige Europäische Union hervorging. 

Prof. Iwan Iltchew

„Der 9. Mai ist eines der Daten, an denen der Zweite Weltkrieg endete, denn am 8. Mai wurde die Kapitulation Deutschlands mit den westlichen Ländern unterzeichnet, und ein sowjetischer Vertreter nahm an dieser Unterzeichnung teil. Am nächsten Tag, den 9. Mai, wurde die Kapitulation von dem sowjetischen Vertreter als erstem unterzeichnet. Aber so wie der Krieg nicht am 1. September 1939 begonnen hat, so ging er auch nicht am 9. Mai 1949 zu Ende, sondern erst später, nach dem Sieg über Japan“, erläuterte der Historiker Prof. Iwan Iltchew, ehemaliger Rektor der Sofioter Universität „Hl. Kliment von Ochrid“.

Prof. Andrej Pantew

„Der 9. Mai trägt das verhängnisvolle Zeichen aggressiver Ideologie, aggressiven Handelns, Verhaltens und aggressiver Repression. Wenn wir also über den 9. Mai sprechen, geht es nicht um eine lichtes Fest, sondern vielmehr um das Ende einer dunklen Periode in der europäischen Geschichte. Als Europa fast vollständig unter dem Zepter des Deutschen Reiches und unter Hitlers Idee von einem vereinten Europas stand“, so Prof. Andrej Pantew, Historiker, akademisches Mitglied der Platonischen Akademie und langjähriger Abgeordneter.
Die Rettung Europas, fügt er hinzu, sei einer Armee zu verdanken, die heute in Verruf geraten ist.

„Sie hat dem Faschismus zu 75 Prozent den Schädel gebrochen und zur Errichtung einer anderen politischen und sozialen Ordnung geführt, die dennoch die Rettung Europas war. Ist der Tag des Sieges oder der Europatag dieses Datum? Beides. Denn der Sieg der Roten Armee schuf die Voraussetzungen für dieses Europa außerhalb des Nazismus, außerhalb des Hitlerismus, mit einer eigenen Führung, eigenen Institutionen. Auch wenn einige von ihnen diesem Land, das so viel zur Niederlage des Nationalsozialismus beigetragen hat, feindlich gesinnt blieben.“

Prof. Iwan Iltschew ist jedoch anderer Meinung:

„Wer feiert den Tag des Sieges am 9. Mai außer der Sowjetunion, dem heutigen Russland und einigen kürzlich beigetretenen Ländern, die politische Vorteile suchen?“
Letzten Endes sei die Tatsache, dass die Gesellschaft bei diesem Thema gespalten ist, jedoch nicht negativ.

„Es ist nichts Verkehrtes daran, dass die Bulgaren gespalten sind, es bedeutet, dass sie denken. Würden sie alle auf ein und dieselbe Weise denken, wäre dies schon sehr gefährlich. Warum sollten wir beide Feiertage entgegenstellen? Sie können friedlich koexistieren, es kann sowohl Europatag als auch Tag des Sieges sein.“

Und ist die Gesellschaft in dieser Frage gespalten?

Elena

Laut Elena, die wir im Zentrum der Hauptstadt treffen, ist der Europatag wichtiger.

„Für mich ist der 9. Mai der Europatag. Aber ich mag die Feiertage davor mehr. Zum Beispiel den 6. Mai, den Georgstag - Tag der Bulgarischen Armee, der Tag des Heldentums.“
Für Alexander, der in der IT-Branche arbeitet, steht dieses Datum für den „Sieg des Kommunismus“.

Nedjalko hingegen ist im Ruhestand und hat viele Jahre lang für die Presse gearbeitet. Für ihn ist der Feiertag sowohl der Europatag als auch der Tag des Sieges: „An diesem Tag geht es für mich um beides - sowohl um Europa, als auch die Befreiung vom Faschismus“, sagte er.

Doch seine Frau Swetla meint: „Ich glaube, es ist der Europatag, der Tag, an dem Hitler von der Sowjetunion besiegt wurde.“

Wassil hingegen ist ein junger Mann, der in den Vereinigten Staaten studiert und mehr als zehn Jahre dort gelebt hat. Jetzt hat er sein eigenes Unternehmen in Bulgarien.

Wassil

„Für mich ist der 9. Mai definitiv der Europatag und nicht der Tag des Sieges. Eines der erfolgreichsten Friedensprojekte nach dem Zweiten Weltkrieg war die Europäische Union.“

Wie lautet also das Fazit unserer improvisierten Umfrage? So viele Bulgaren es gibt, so viele Meinungen gibt es auch. Und obwohl zweifellos jeder von uns zu jedem Thema eine Meinung hat, sollten wir uns wünschen, dass wir immer mehr Gelegenheiten haben, uns einig zu sein anstatt unterschiedlicher Meinung.


Übersetzung: Rossiza Radulowa

Fotos: Iwan Gergow, BNR, BTA, time.com, peoplesworld.org, Wikimedia Commons


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