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Fehlendes Quorum, Skandale und „friendly fire“ – ist die Regierung stabil?

Foto: BTA

Letzte Woche erwies sich für die Abgeordneten der 51. Volksversammlung als eine Art Ruhepause, nachdem an allen drei aufeinanderfolgenden Sitzungstagen – Mittwoch, Donnerstag und Freitag – kein Quorum im Plenarsaal zustande kam. Am Freitag registrierten sich beispielsweise lediglich 111 Abgeordnete bei einem notwendigen Quorum von mindestens 121 von insgesamt 220 Volksvertretern.

Premierminister Rossen Scheljaskow befand sich auf einer Visite in den Vereinigten Staaten, begleitet von einer nicht gerade kleinen parlamentarischen Delegation aus der Regierungsmehrheit.

Die Opposition nutzte diesen Umstand. Obwohl deren Vertreter im Parlament anwesend waren, haben sie sich nicht registriert mit dem Argument, die Sicherstellung des Quorums sei Aufgabe der Mehrheit. Die „Pause“ der Abgeordneten fiel zudem in eine Phase, in der sie vor ihrer vielleicht wichtigsten Aufgabe stehen – der Ausarbeitung des Staatshaushalts für 2026.


Politischer Sturm im Wasserglas

In der letzten Woche waren wir auch Zeugen von Eigenbeschuss – zum ersten Mal kamen offene Kritiken von Bojko Borissow an seinem Parteikollegen, dem jetzigen Regierungschef Rossen Scheljaskow, sowie an Deljan Peewski, dem Vorsitzenden der Bewegung für Rechte und Freiheiten–Neuanfang.

Der Vorsitzende der stärksten Parlamentskraft GERB kritisierte den Ministerpräsidenten und dessen Kabinett, dass sie nicht in der Lage seien, die Wasserkrise zu bewältigen, die Hunderttausende Bürger im Land betrifft. Daraufhin wurden fast umgehend mehrere Minister nach Plewen geschickt, der am stärksten betroffenen Stadt.

Kritik erntete auch Deljan Peewski, der sich selbst als Garanten des Kabinetts bezeichnet.

Fortgesetzt wurden zudem der traditionelle Schlagabtausch zwischen Regierung und den sie unterstützenden Parteien einerseits und der Präsidenteninstitution andererseits.

Die politische Lage stößt auf starke Ablehnung bei den Bürgern.


Soziologische Umfragen zeigen, dass das Parlament traditionell das geringste Vertrauen unter den Institutionen genießt – lediglich 15 Prozent der Menschen bewerten seine Arbeit positiv. Die Regierung unterstützen 23 Prozent, während deren Gegner auf 66 Prozent anwachsen, zeigt eine Erhebung der Meinungsforschungsagentur „Trend“, durchgeführt im Zeitraum von 13. bis zum 20. September im Auftrag der Zeitung „24 Stunden“.

Auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes überwiegt Pessimismus: 38 Prozent der Befragten erwarten eine Verschlechterung im kommenden Jahr, wenn Bulgarien offiziell der Eurozone beitritt.

Wovon zeugt die Tatsache, dass die offizielle Regierungskoalition – GERB-SDS, BSP und „Es gibt ein solches Volk“, unterstützt von DPS-Neuanfang – nicht in der Lage war, die Arbeit des Parlaments sicherzustellen?

„In der Regierungsmehrheit, obwohl sie recht groß ist – bis zu 180 Stimmen, wenn man danach urteilt, wie ein Verfassungsrichter und verschiedene andere hohe Verwaltungsämter gewählt wurden - gibt es offensichtlich Zentrifugalkräfte. Das Problem der Regierung liegt im Moment vor allem darin, dass sie mit der Aufstellung des Staatshaushalts für das nächste Jahr etwas in Verzug geraten ist. Das hängt mit einigen Ideen zusammen – etwa der BSP – für grundlegende Steueränderungen, einschließlich der Einführung einer progressiven Besteuerung“, kommentierte gegenüber Radio Bulgarien der Wirtschaftswissenschaftler Doz. Krassen Stantschew, Gründer des Instituts für Marktwirtschaft und ehemaliger Abgeordneter der Großen Volksversammlung von 1990–1991.

Krassen Stantschew

Hier enden jedoch die diametralen Unterschiede zwischen GERB und BSP, meint Stantschew:

„Das, was alle Parteien in der Regierung eint, ist mehr Kontrolle, mehr Staatsunternehmen und ein größeres staatliches Engagement in der Wirtschaft“, so Stantschew.

Er fügte hinzu, dass es auf lokaler Ebene Konflikte gebe, die kommunale Ressourcen „auslaugen“ und es den Parlamentsparteien nicht erlauben, eine fiskalische Dezentralisierung einzuführen.

Das fehlende Quorum der letzten Woche sei ein konjunkturelles Ereignis aufgrund der „Exkursionen“ zahlreicher Abgeordneter, meint wiederum der Politologe Slawi Wassilew, ehemaliger Berater von Präsident Rumen Radew:

Slawi Wassilew

„Die Koalition ist derzeit stabil. Zum großen Bedauern all jener, die der Ansicht sind, dass diese Mehrheit für Bulgarien schädlich ist“, meint Slawi Wassilew.

Doch wie lange wird diese Stabilität andauern?

„Ich erwarte, dass nach der Einführung des Euro am 1. Januar 2026 das politische Bild bereits ein anderes sein wird. Erstens, weil sich Bojko Borissow dann mit ‚diesem außergewöhnlichen Erfolg‘ brüsten wird, dass Bulgarien der Eurozone beigetreten ist – obwohl die Bürger nicht gefragt wurden und obwohl es viele Anzeichen dafür gibt, dass es vernünftiger gewesen wäre, wenn Bulgarien abgewartet hätte und im Währungsrat geblieben wäre, bis sich die Wolken über der Eurozone verzogen haben – falls das überhaupt geschieht. Doch die politische Elite des Landes hat längst aufgehört, der wirtschaftlichen Realität oder der Haltung der Bürger in wichtigen politischen und wirtschaftlichen Fragen Rechnung zu tragen“, fügte Wassilew hinzu.


Seiner Meinung nach wird die Regierung nicht die volle Amtszeit überstehen. Sie sei aber derzeit vergleichsweise stabil – vor allem wegen der Drohung für die jetzigen Parteien, dass ein neues politisches Projekt um das amtierende Staatsoberhaupt entstehen könnte, das den Weg für eine Alternative zu Borissow und Peewski eröffnet, was eine durchaus reale Möglichkeit sei, so Slawi Wassilew abschließend.


Übersetzt und veröffentlicht von Rossiza Radulowa

Fotos: BTA, Pexels, Pixabay, BGNES



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