Brasilien hatte die unglaubliche Chance, dass die Covid-19-Epidemie es viel später erreicht hat als andere Länder. Leider hat es diese Chance verspielt. Anfangs wurden keine Maßnahmen ergriffen, da die Regierung die Situation unterschätzt hat. Inzwischen werden zwar Maßnahmen getroffen, aber sie sind verspätet. Das sagte in einem Interview für Radio Bulgarien unser Landsmann Michail Krastanow, der seit vielen Jahren in Brasilien lebt und die erste bulgarische Schule in Südamerika gegründet hat.
Er bestätigte seine Aussage und erklärte, dass sich das Virus in Brasilien durch Brasilianer ausbreitet, die von der Arbeit oder von Reisen aus Italien zurückkehren, ohne unter Quarantäne gestellt zu werden, obwohl es Italien nachgewiesenermaßen ein Infektionsherd ist. Bei den ersten 15 Infektionsfällen in Brasilien hat es sich um solche Menschen gehandelt. Derzeit sind die Schulen im Land geschlossen, kulturelle Veranstaltungen wurden abgesagt, geöffnet haben nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken und Banken. Wo immer möglich ist man zu Fernunterricht und Arbeit im Home Office übergegangen.
Derzeit sind in Brasilien 529 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, mehr als 350 davon in São Paulo – einer der Städte mit den meisten Bulgaren, neben Rio de Janeiro und Manaus. Nach Angaben des bulgarischen Außenministeriums leben im ganzen Land rund 3.000 Bulgaren, in Wirklichkeit sind es aber wahrscheinlich viel mehr.
Die bulgarische Sonntagsschule in Brasilien unter der Leitung von Michail Krastanow ist ebenfalls zum Fernunterricht übergegangen:
„Wir haben genug Erfahrung in der Online-Ausbildung, aber bisher haben wir noch nie zu 100 Prozent auf diese Weise unterrichtet. Und das ist schon eine Herausforderung. Die bulgarische Diaspora in Brasilien – das sind intelligente Menschen. Viele von ihnen sind in der Kunst beschäftigt oder unterrichten an Universitäten. Momentan bleiben sie zu Hause und lassen ihre Kinder nicht einmal ausgehen.“
Unsere Landsleute dort sind auch besorgt, dass während in Bulgarien strenge Kontrollen eingeführt wurden, damit die Kunden in Apotheken und Geschäften Abstand zueinander wahren, in Brasilien keine Maßnahmen dieser Art getroffen werden. Ein weiteres Problem für das größte Land in Südamerika sind die Obdachlosen, die sich auf der Suche nach Geld und Nahrung vor allem dort tummeln, wo reges Treiben herrscht. Sollte in Brasilien eine Infektion in den Favelas (Armenvierteln) ausbrechen, wo die Gebäude auf engstem Raum nebeneinander liegen und wie ein Puzzle miteinander verflochten sind, dann werden alle Menschen dort innerhalb von ein bis zwei Tagen infiziert sein, meint Krastanow. Ihm zufolge besteht ein reales Risiko, dass das Land zu einem Italien in Südamerika wird und sogar noch schlimmer. „Weil wir uns derzeit in der Anfangsphase der Krise befinden und die Zahl der bisher diagnostizierten Fälle nicht real ist. Gott bewahre, ich würde es vorziehen, nicht Recht zu haben, aber Brasilien steht vor einem großen Hindernis, das es überwinden muss“, prognostiziert Michail Krastanow.
Seinen Worten zufolge gibt es derzeit keinen einzigen mit Covid-19 infizierten Bulgaren in Brasilien. Mit der um sich greifenden Gesundheitskrise zeichnen sich aber auch wirtschaftliche Probleme ab, die bei unseren Landsleuten in Brasilien Besorgnis auslösen.
„Sie sind verständlicherweise beunruhigt, denn die Krise klopft schon an der Tür. In den letzten ein-zwei Wochen stellt der Dollar jeden Tag neue Rekorde auf – er steigt, was zur Abwertung des brasilianischen Real führt. In Anbetracht dessen ist die gesamte bulgarische Diaspora hier besorgt“ sagte abschließend Michail Krastanow.
Fotos: Privatarchiv
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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