In vier aufeinanderfolgenden Beiträgen hat Radio Bulgarien die Investitions- und Wirtschaftsprobleme und die Vorteile einzelner bulgarischer Planungsregionen beleuchtet. Die Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Adrian Nikolow* vom Institut für Marktwirtschaft erfasste im Uhrzeigersinn die Planungsregionen Nordwesten, Zentraler Norden, Nordosten und Südosten. Heute richten wir den Fokus auf die führende Wirtschaftszone des Landes – den Zentralen Süden.
Drei der Verwaltungsbezirke in der Region grenzen an Griechenland und der Bezirk Haskowo auch an die Türkei. In der Region befindet sich die zweitgrößte Stadt in Bulgarien – Plowdiw, wo sich wichtige Verkehrsadern für unser Land sowie für Europa kreuzen – die Autobahn Trakia (die vom Schwarzen Meer nach Sofia führt und Teil des gesamteuropäischen Verkehrskorridors 8 ist) und die Autobahn Mariza (die die Türkei und Mitteleuropa verbindet und Teil der Europastraße E80 ist).
„Die größte Bürde im Süden fällt auf den Bezirk Plowdiw, wo außerhalb von Sofia die meisten ausländischen Investitionen in der Industrie angezogen wurden. Dort besteht eine große Konzentration an neuen Produktionen mit einer höheren Wertschöpfung. Die Investoren dort begannen von einem Mangel an Arbeitskräften zu sprechen und planten Arbeiter aus nahe gelegenen Städten wie Pasardschik und sogar Haskovo anzuziehen“, erläutert Adrian Nikolow.
Die Herausforderung, vor die sich Plowdiw vor Ausbruch der Corona-Krise gestellt sah war, ob die Region in der Lage sein wird, ihr industrielles Wachstum aufrechtzuerhalten, das größtenteils durch den Arbeitskräftemangel gehemmt wurde. Adrian Nikolow kommt auch auf ein interessantes Beispiel in Bezug auf die Bildung in diesem Teil Bulgariens zu sprechen:
„Unsere regionalen Studien haben ergeben, dass die Rhodopenstadt Smoljan zu den Champions in Sachen Schulbildung gehört. Den dortigen Behörden ist es gelungen, gute Lehrer zu engagieren und Investitionen in die Schulbildung heranzuziehen. Dadurch halten sich auch die Schüler in der Schule und schneiden bei den nationalen Abiturprüfungen sehr gut ab. Der Anteil der Schüler, die ihre Ausbildung an Universitäten fortsetzen, ist dort größer. Smoljan ist ein interessantes Beispiel, an dem wir ablesen können, ob Investitionen in Bildung sich auf den wirtschaftlichen Aufschwung auswirken, den wir allen Grund haben zu erwarten."
Die Region Südwesten, in ihrem Teil zwischen Griechenland und Nordmazedonien, scheint im Schatten Sofias zu bleiben. Insbesondere nachdem die Autobahn Struma (die nach Griechenland führt) den Weg in die Bezirksstadt Blagoewgrad um eine Stunde verkürzt hat.
„Blagoewgrad leidet in den letzten Jahren hauptsächlich unter zwei Trends in der verarbeitenden Industrie. Der Ruin der Tabakindustrie hat zum Abbau von mehreren tausend Arbeitsplätzen geführt. Andererseits kommt der Textilindustrie in dieser Region eine wichtige Rolle zu. Sie hat einen sehr geringen Mehrwert und kann somit keinen hohen Lebensstandard sichern. Für Menschen, die mobiler sind und über die nötigen Produktionskenntnisse verfügen, ist es viel einfacher, nach Plowdiw oder Stara Sagora zu ziehen und in einem der dortigen weitaus moderneren Unternehmen zu arbeiten, als in der Nähindustrie in Blagoewgrad zu verbleiben."
Die Region Kjustendil (wo sich die bulgarische, serbische und nordmazedonische Grenze treffen) ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Nordwesten – stark alternde Bevölkerung, hohe Arbeitslosigkeit und schwaches Unternehmertum. Aber hier haben wir Grund zu der Annahme, dass die Nähe zur Hauptstadt (Sofia ist nur eine Autostunde von Kjustendil entfernt) das Potenzial der Region ausschöpft.
Sofia ist eine Wirtschaftsgeschichte für sich.
„Die Stadt Sofia ist eine eigenständige Wirtschaft“, betont Adrian Nikolow und setzt den Akzent auf die Dienstleistungen: „In den letzten Jahren haben das Outsourcing sowie die Informations- und Kommunikationstechnologien stark zugelegt. Aber auch im Raum Sofia ist die industrielle Entwicklung weit vorangekommen. Wir sehen Sofia und die anliegende Region als separate wirtschaftliche Einheiten an, dabei handelt es sich um ein eng miteinander verflochtenes wirtschaftliches Ganzes. In der Region Sofia befinden sich einige der stärksten Industrie- und Bergbauunternehmen, darunter das größte Unternehmen in Bulgarien, das in mehreren kleinen Gemeinden die höchsten Gehälter zahlt."
Wie können wir diese Geschichten der einzelnen Regionen in Bulgarien vereinen, um ein Happy End zu haben?
„Ich frage mich, ob wir sie vereinen sollten. Ich denke, jede Gemeinde hat ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung, ihre soziale Entwicklung, ihre Demografie, ihre Bildung, ihr Business. Bulgarien muss sich nicht einheitlich in die gleiche Richtung bewegen und sich in ein und demselben Tempo entwickeln. Wir haben bereits die Verwaltungs- und Steuerreform erwähnt - beide sind erforderlich, damit wir Fortschritte machen und die schwächeren Regionen ihr Potenzial realisieren können."
* Das Interview mit Adrian Nikolow wurde geführt, als die Covid-19-Pandemie gerade ausgebrochen war, aber die wirtschaftlichen und statistischen Daten über die Entwicklung der Regionen dokumentieren einen anhaltenden Trend. Sie belegen auch, dass Änderungen in der bulgarischen Regionalpolitik notwendig sind. Und die durch das Coronavirus verursachte Krise könnte in Zukunft durchaus zum Katalysator für die erforderlichen Reformen werden.
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