Ab heute schließt sich Bulgarien den europäischen Ländern an, in denen das grüne Zertifikat die Türen zu kulturellen Einrichtungen, großen Einzelhandelsgeschäften, Fitnessstudios und Restaurants öffnet.
Während Bulgarien weiterhin an der Spitze der weltweiten Rangliste für Sterblichkeit infolge von Covid-19 steht und in überfüllten Krankenhausstationen immer mehr Patienten mit Hilfe eines Geräts beatmet werden müssen, sind viele Bulgaren unzufrieden mit den Maßnahmen, die ihnen kaum eine Wahl lassen.
Diskriminierung, Völkermord, Aufruf zur Rebellion – mit diesem verbalen Arsenal antwortet die Hälfte der befragten Bürger in Burgas auf die Anforderung für ein grünes Zertifikat.
„Wir, die Nichtgeimpften sind wie schwarze Schafe. Ich werde nichts unternehmen, sondern ausharren bis alles vorbei ist. In Bulgarien geht alles vorbei“, erklärt einer der Befragten.
Ein anderer hingegen sagt, dass er sich impfen ließ, weil er eingeschätzt habe, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür gekommen sei und jeder Verantwortung tragen müsse. Das sei die Art und Weise, mit der Pandemie fertig zu werden.
Brenzlich wird es bei der Frage, ob es am ersten Tag der neuen Beschränkungen genügend Ärzte in den Krankenhäusern geben wird, wenn auch für sie das grüne Zertifikat obligatorisch wird.
"Bevor wir die Maßnahmen angekündigt haben, wurde analysiert, wo sie wirken werden", erklärte der stellvertretende Gesundheitsminister Alexander Slatanow. „Die meisten Mediziner (60-70%) sind bereits geimpft, die übrigen werden sich vorläufig testen lassen müssen. Kompromisslos werden wir aber in den Altersheimen sein, denn die älteren Menschen sind gefährdet. Sie können sich nur dann infizieren, wenn das Coronavirus eingeschleppt wird. Dort sind fast 50% der Angestellten geimpft. Die anderen werden sich zweimal wöchentlich testen lassen müssen“, erklärte Minister Alexander Slatanow.
Bei den Lehrern wurde vorläufig auf das grüne Zertifikat verzichtet, weil der Bildungsminister um einen zweiwöchigen Aufschub gebeten hat. Während dieser Zeit können sich die Lehrer, von denen etwa 50% immunisiert sind, impfen lassen.
Die Einführung des grünen Zertifikats in weniger als 48 Stunden nach ihrer Ankündigung durch den Gesundheitsminister hat viele Branchen vor vollendeten Tatsachen gestellt.
In mehreren Gemeinden, in denen die Zahl der Patienten auf einer 14-tägigen Basis 750 pro 100.000 übersteigt, einschließlich der Hauptstadt Sofia, werden ab heute alle Schüler Online unterrichtet.
Die Universitäten und Hochschulen stehen vor dem Dilemma, die wenigen geimpften Studenten in halbleeren Sälen zu unterrichten, ebenso Theater und andere kulturellen Einrichtungen auf die Schnelle Räumlichkeiten für Schnelltest für die Zuschauer organisieren müssen.
„Die neuen Maßnahmen und Einschränkungen sind wunderbar, aber sie kommen nicht zur rechten Zeit“, erklärte Prof. Radka Argirowa, Vorsitzende der Bulgarischen Gesellschaft für medizinische Virologie. „All das hätte im Sommer passieren müssen. Es hätte nicht zugelassen werden dürfen, dass die Situation eskaliert. Wäre alles schon im Sommer passiert, wären wir viel freier. Jetzt wird erwartet, dass die Zahl der neu Infizierten sinkt."
Wie immer sind die Besitzer von Restaurants und Nachtclubs an der Spitze der Proteste. Der Verband der Restaurants in Bulgarien und die Bulgarische Assoziation der Restaurants bereiten für heute einen weiteren Massenprotest vor.
„Die Verordnung über die grünen Zertifikate ist inakzeptabel“, erklärt Krastina Mitkowa vom Verband der Restaurants in Bulgarien. „Wir haben zugestimmt unter den Bedingungen eines grünen Zertifikats zu arbeiten, wenn der Staat als Arbeitgeber seine Mitarbeiter zuerst impft. Wir arbeiten nur mit 20% der Bevölkerung. Das bedeutet, dass 80% unserer Kapazitäten begrenzt sind. Unter solchen Umständen ist es unmöglich Mieten und Sozialbeiträge zu bezahlen. Die steigenden Strompreise tun ihr übriges. Alle Produkte und Rohstoffe werden immer teurer.“
Vor dem Hintergrund von diesem programmierten Chaos fordern einige politische Kräfte den Rücktritt des Gesundheitsministers, andere nutzen rebellische Rhetorik, um im Vorfeld der herannahenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die eine oder andere Wählerstimme mehr für sich zu gewinnen. Indes reihen sich vor den Impfstellen still immer mehr Bürger ein, um den „Schlüssel“ zu erlangen, der Türen öffnet.
Redaktion: Diana Zankowa nach Interviews der BNR-Programme Horizont, Hristo Botew, Burgas, Plowdiw und Widin.
Übersetzung: Georgetta Janewa
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