1856 gründeten vier aufgeweckte Bulgaren in der Donaustadt Swistoff das erste bulgarische Volkskulturhaus, Tschitaliste genannt, das in der Zeit der osmanischen Fremdherrschaft zur Aufklärung und Bildung der bulgarischen Bevölkerung beitragen sollte. Sie setzten sich das ehrgeizige Ziel, eine Bibliothek zu eröffnen, alte Manuskripte zu sammeln, fähige junge Menschen beim Studium im Ausland zu unterstützen und bulgarischen Schriftstellern bei der Veröffentlichung ihrer Werke und Übersetzungen zu helfen.
Diese kulturelle Institution existiert bis heute, obwohl sich im Laufe der Jahre die Mission des Volkskulturhauses verändert hat. Es gibt unzählige Kinder, die durch diese Kulturstätten Zugang zur Kunst und Kultur erhalten haben und ihren Horizont durch die Bücher in ihren Bibliotheken erweitern konnten. Unzählige Erwachsene hatten Gelegenheit, in Interessenvereinen und Laienensembles zeitweilig ihre Sorgen zu vergessen oder der Einsamkeit zu entfliehen.
Doch wie ist es heute um diese Volkskulturhäuser bestellt? Wie können sie sich in der schweren Zweit der Coronavirus-Epidemie über Wasser halten?
„Es ist einfach tragisch“, fasst Wessela Jordanowa die Lage in wenigen Worten zusammen. Gemeinsam mit ihrem Mann leitet sie das Tanzensemble für Folklore „Raswitie“ in Sewliewo.
„In den Jahren der Epidemie hat sich die abwechselnde Schließung und Öffnung der Kulturhäuser sehr schlecht auf die Kondition der Tänzer ausgewirkt. Sie haben es nicht geschafft, das Repertoire einzuüben. Hinzu kommt, dass die Kinder, die kommen, immer weniger werden“, erzählt Wessela Jordanowa.
Wessela und Jordan Jordanow übernahmen das etablierte Folkloreensemble mit einer über 60-jährigen Geschichte und zahlreichen Auszeichnungen 2005. Ihren größten Erfolg erzielten sie 2016, als sie Bulgarien beim fünften World Folklore Festival in Mexiko vertraten. Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums erhielt das Tanzensemble den Preis des Verbandes der Volkskulturhäuser für das beste Laienensemble.
„Wir lehren hauptsächlich typische, traditionelle Reigentänze, die uns die vorangegangenen Generationen überliefert haben“, erzählt Jordan Jordanow und fügt hinzu, dass unsere Vorfahren die Reigentänze nicht nur aus Spaß und Freude am Tanzen getanzt haben. „Die Reigen waren mit Festen und Ritualen verknüpft und wurden zu einer bestimmten Zeit und auf eine genau festgelegte Weise getanzt.“
Anlässlich des 1. März, dem Tag der Laienkünstler und der Laienkunst, versammeln sich im Volkskulturhaus Sewliewo "Entwicklung - 1870" traditionell mehrere Generationen von ehemaligen und heutigen Mitgliedern des Folkloreensembles. 17- bis 70-Jährige werden Hand in Hand Reigen nach bulgarischen Folkloreklängen tanzen, versichern Wessela und Jordan. Trotz der Vorfreude auf das Fest halten sie mit ihren Sorgen nicht zurück, dass diese einzigartige soziale und kulturelle Institution wie die Volkskulturhäuser, von der Last der Probleme erdrückt werden und das zu ihrem Untergang führen könnte.
„Bedauerlicherweise sind die Volkskulturhäuser aufgrund der mangelnden Finanzierung fast zu einem Symbol für Dilettantismus und schlechte Qualität geworden, sagt Wessela Jordanowa. „Doch trotzdem sind sie für viele Kinder die erste Möglichkeit, mit der Kunst in Berührung zu kommen“, sagt sie und bedauert, dass die Lehrer immer älter werden und es aufgrund der schlechten Bezahlung an jungen Menschen mangelt, die unterrichten wollen. So werden die Volkskulturhäuser allmählich dem Verfall überlassen. Sie fordert die Politiker auf, die Frage zu beantworten, wie der bulgarische Geist, das bulgarische Selbstbewußtsein und der Nationalstolz bewahrt werden können und ob der Weg über die Zerstörung der Volkskulturhäuser führt.
Übersetzung: Georgetta Janewa
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