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Der Markt als kulturelles Phänomen gestern, heute und morgen

Ein Dokumentarfilm und eine Ausstellung erinnern an die einzigartige Atmosphäre der Märkte in Sofia und an die Geschichten, die die Zeit über sie erzählt

Foto: Mariana Walkanowa

Einer der malerischsten und farbenprächtigsten Orte einer jeden Stadt ist ihr Markt. Ob es sich um ein alltägliches Ereignis handelt oder um einen besonderen Tag, ob es Besonderheiten bei den angebotenen Produkten gibt oder nicht, der Markt ist ein kulturelles Phänomen, das die menschliche Geschichte und die Entwicklung unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten begleitet. Und die Geschmäcker, Erfahrungen und Geschichten, die diese Orte uns „schenken“, können unser Leben für immer prägen.

Bedeutet das, dass der Markt als physischer Ort in Bulgarien verschwinden könnte, wenn der Handel heutzutage nur einen Mausklick oder ein paar Minuten im nächsten Supermarkt entfernt ist? Das Team von „Studio 24“ unter der Leitung der Regisseurin Ekaterina Minkowa und des Politikwissenschaftlers Dr. Georgi Prodanow sucht mit dem Projekt „Der verschwindende Markt als kulturelles Phänomen“ nach einer Antwort.

Ekaterina Minkowa und Dr. Georgi Prodanow

Das im Jahr 2023 gestartete Projekt wird vom Nationalen Kulturfonds im Rahmen des Programms “Schöpfung”finanziert und hat als Hauptaufgabe die Produktion eines Dokumentarfilms über die wichtigsten Märkte Sofias und ihre Auswirkungen auf die Stadt. Der Film soll bis Ende des Jahres der Öffentlichkeit vorgeführt werden, und das Ende des Projekts selbst wird mit einer gleichnamigen Ausstellung in der Galerie „Serdika“ im Herzen eines der wichtigsten “Protagonisten“ - des Frauenmarkts in Sofia - gefeiert.

Vom 8. bis 26. Oktober werden im Ausstellungsraum alte Archivfotos von ikonischen Einkaufsmärkten in unserer Hauptstadt gezeigt. Georgi Prodanow sagte über die Bilder, dass die meisten von Ausländern aufgenommen wurden, die unser Land durchquerten und von den einheimischen Märkten stark angezogen wurden. Viele dieser Fotos stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

In der Ausstellung werden Figuren von Verkäufern und Käufern aus verschiedenen Epochen zu sehen sein, die aus alten Fotos erstellt wurden, und auf einem Tablet kann jeder Besucher fünf Kurzfilme sehen, die von fünf Regisseuren - Wanja Iwanowa, Silvia Peschewa, Stefan Stefanow, Ina Wladimirowa und Ekaterina Minkowa - gedreht wurden. Die darin enthaltenen Geschichten sind Teil des Rohmaterials, das für den Spielfilm gedreht wurde. 

„Der Markt ist nicht nur ein Ort zum Einkaufen und war es auch nie. Die romantischen Vorstellungen vom Markt aus dem frühen 20. Jahrhundert - es geht nicht nur um die Dinge, die man kauft, denn der Markt bietet auch Attraktionen und die Möglichkeit, dass sich die Landsleute treffen. Ich denke, es ist eine besondere Art der Kommunikation und des Feierns“, sagte im Studio von „Radio Bulgarien“ Ekaterina Minkowa, die Regisseurin des Dokumentarfilms in Spielfilmlänge.

Der Titel des Films steht noch nicht endgültig fest, aber eines ist sicher: Ein Teil seines Sounddesigns wird „Kunst für die Kunst“ darstellen, und zwar durch die Arbeit von Mariana Walkanowa, einer bekannten Größe im bulgarischen Kino, Musikdesignerin und Sounddesignerin. Mariana Walkanowas Archiv mit Tonaufnahmen von Märkten aus verschiedenen Zeiten, die sie im Laufe ihrer Karriere für die Vertonung anderer Filme verwendet hat, stellt in seiner Gesamtheit eine Sammlung von Klangerinnerungen aus vergangenen Leben, Geschichten und Seiten unserer eigenen Existenz dar.

„Märkte sind interessant, weil sie das Zusammentreffen verschiedener Welten ermöglichen. Ob wir nun über das 19. Jahrhundert, das 20. Jahrhundert oder die Gegenwart sprechen, der Markt ist der einzige Ort, an dem sich ein Millionär und ein Mann, der nur ein paar Münzen in der Tasche hat, ein Mann mit mehreren akademischen Abschlüssen und ein Mann, der seinen Namen nicht schreiben kann, spontan treffen können“, erklärte der Drehbuchautor des Projekts, Dr. Georgi Prodanow und weiter: „Das schafft eine besondere Atmosphäre an diesen Orten. Jeder ist mit einem bestimmten Ziel dorthin gegangen. Der eine, um „echte“ Produkte zu kaufen, der andere, um billige Produkte zu kaufen, wieder ein anderer geht einfach dorthin, um über  den Markt zu bummeln. Verschiedene Bedeutungen sind dort miteinander verwoben, und deshalb ist es eine große kreative und intellektuelle Herausforderung, die Bedeutungen des Marktes zu erforschen. Der Markt selbst schafft ein Umfeld, und dieses Umfeld wiederum beginnt, die Menschen zu beeinflussen und zu verändern.“

„Wir suchen nicht nach bestimmten Epochen, sondern nach Bildern - Geschichten, die von der Zeit und dem Leben erzählen“, sagte Dr. Georgi Prodanow.

Aus diesem Grund sind die Protagonisten des Projekts der Professor für die Geschichte der modernen Kultur AleksandarKjossew und die Historikerin und Journalistin Albena Schkodrowa sowie die drei Schwestern Lili, Lora und Blagorodna, die sich an ihre Kindheit auf dem Markt erinnern, Baj Georgi - der Sohn des Fuhrmanns - und Steve - ein Ausländer, der 1988 nach Bulgarien kam und sich nach seinem ersten Rundgang auf dem Frauenmarkt sagte: „Das sind meine Leute“. Und der Verkäufer, der sich noch an das Datum erinnert, an dem er nach Sofia und auf den Frauenmarkt kam.

Der Film wird uns auch interessante Einblicke in einen anderen für unsere Hauptstadt bedeutenden Ort geben, vor allem in der Übergangsphase - den Flohmarkt und seine Geschichte. „Sind es die Waren, die dort verkauft werden, oder die Geschichten?“ wird eine der ersten Fragen sein, die Sie sich stellen werden.

„Meine persönliche Meinung über den Flohmarkt ist, dass er während des Sozialismus ein Ort war, an dem verbotene Dinge, zu denen wir keinen freien Zugang hatten, wie Jeans, Kassetten und Poster unserer Lieblingsbands erstanden werden konnten. Jetzt sieht er aber anders aus. Er ist wie eine Art Zeitmaschine, denn es werden dort Dinge aus sozialistischen Zeiten oder bereits in Vergessenheit geratene Sachen feilgeboten und ich glaube nicht, dass er in seiner jetzigen Form für jeden geeignet ist”, so Ekaterina Minkowa.

Der Markt ist ein lebendiger Organismus, der täglich gleichzeitig verschwindet und neu entsteht. Er kann seine Form ändern, manchmal auch seinen Standort, sogar die Art und Weise, wie Verkäufer und Kunde interagieren. Deshalb ist es so schwer, Märkte zu beschreiben, sagte Georgi Prodanow weiter:

„Ich bin mir nicht sicher, ob die Wahrnehmung, dass wir uns am Rande des Orients befinden, hier zutrifft. Tatsächlich ist die Massenwahrnehmung von Märkten durch Filme und Geschichten über die orientalischen Märkte des Osmanischen Reiches beeinflusst. Ich denke, dass die Beziehung im Westen und im Osten dieselbe ist. Überall kann man Menschen treffen, die süchtig nach Märkten sind, Menschen, die über sie kommunizieren. Bei uns sind die Märkte nicht so bunt und attraktiv wie etwa die Märkte im Osten. Gleichzeitig sind wir aber auch nicht so beziehungsarm wie manche Märkte im Westen. Ich wünschte, die Leute würden nach dem Ansehen unserer Filme einen Spaziergang zu den Orten machen, über die wir sprechen. Diese Erfahrung wird man in keinem Supermarkt machen können. Auf dem Markt kann man sich die Fähigkeit zurückholen, aus den Waren auszuwählen, sich auf seine Sinne zu verlassen und nicht so sehr auf die Verpackung. Jedes Mal, wenn man auf den Markt geht, wird man in eine andere Situation versetzt, was in diesen Jahren eine Gelegenheit ist, für einen Moment unsere Einstellung und die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, zu ändern und zu sehen, dass es etwas anderes um uns herum gibt.“

„Was sich verändert, und das ist für mich das Problem auf dem Markt, ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen Dinge verkaufen, die sie nicht selbst hergestellt haben. Das verändert die Käufer-Verkäufer-Beziehung. Und in diesem Sinne verschwindet der Markt, denn letztlich machen die großen Ketten das Gleiche“, sagte zum Schluss Ekaterina Minkowa.

Und was ist die Geschichte des Frauenmarktes in Sofia? Rührt sein Name wirklich von der Tatsache her, dass er im Laufe der Jahre wirklich ein Ort für den Verkauf von Frauen und Bräuten war? Das kann man auf der Facebookseite des Projekts lesen.

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Zusammengestellt: Wessela Krastewa

Übersetzung: Antonia Iliewa

Redaktion: Rossiza Radulowa

Fotos: Mariana Walkanowa, Maria Bojadschiewa, Galerie „Serdika“, Facebook / Frauenmarkt


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